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Interview zu Sicherheit und Demokratie im Sahel

»Mir liegt die Demokratie am Herzen – aber ich bin pragmatisch«

Interview
von Leo Wigger
Interview zu Sicherheit und Demokratie im Sahel
Flickr / Vereinte Nationen

Malis Ex-Premier Moussa Mara lässt kein gutes Haar an Frankreichs Sahel-Politik – und ruft Deutschland auf, es besser zu machen.

zenith: Die Bundeswehr verließ Mali zum Ende des Jahres 2023, ohne die Ziele der Mission erreicht zu haben. Was ist schiefgelaufen?

Moussa Mara: Betrachten wir es doch einmal aus einer anderen Perspektive. Für mich ist das Verhältnis zwischen Deutschland und Mali derzeit das bestmögliche. Die Zusammenarbeit geht weiter, sie hat nicht aufgehört. Deutschlands Beteiligung an der UN-Mission geht zu Ende, weil die UN-Mission selbst ausgelaufen ist. Die deutsche Botschaft gehört zu den größten diplomatischen Vertretungen in Bamako. Deutschland ist nach wie vor einer der wichtigsten Geber innerhalb der Europäischen Union. Und die Bundesregierung arbeitet auch nach Frankreichs Rückzug weiter mit der malischen Regierung zusammen – trotz entsprechender Einflussnahme von Paris auf seine europäischen Partner. Ich habe dem deutschen Botschafter empfohlen: Folgen Sie den Franzosen nicht blindlings. Ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse.

 

Wie meinen Sie das?

Eines der Hauptprobleme insbesondere in den französischsprachigen Länder besteht darin, dass andere EU-Länder Frankreich in den letzten Jahrzehnten widerspruchslos gefolgt sind. Man geht davon aus, dass die Franzosen aufgrund ihres kolonialen Erbes und ihres langjährigen Engagements in der Region wissen, was vor sich geht. Und das führt zu Missverständnissen.

 

Welche Art von Missverständnissen?

Dass Staatsstreiche die Ursache etwa für Instabilität sind. In Wirklichkeit sind sie aber die Folge. Man muss sich über die Juntas in Mali, Niger und Burkina Faso im Klaren sein: Sie sind populär. Auch wenn die Militärs etwa in Mali schnell an Unterstützung verlieren, weil sie nicht in der Lage sind, die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Aber der Grund für ihren Aufstieg liegt in der Korruption der gewählten Volksvertreter: in Veruntreuung öffentlicher Gelder und Vorteilsnahme für die eigenen Angehörigen. Wir als politische Klasse haben eine Menge Fehler gemacht. Und die bereiteten den Boden für die Militärputsche, die wir erlebt haben.

 

Aber die Militärs sind kaum weniger korrupt als die Politiker.

Das ist richtig und wird vielen Menschen langsam klar werden. Dennoch: Ihre Popularität muss berücksichtigt werden. Man kann nicht einfach Verurteilung, Sanktionen und Bestrafung als Reaktion auf die Putsche gegen gewählte Regierungen fordern, ohne den Kontext zu verstehen. So verliert man den Bezug zu den Menschen – so ist es den Franzosen ergangen.

 

»In Wirklichkeit sind die Staatsstreiche Folge und nicht Ursache der Instabilität«

 

Welche anderen Missverständnisse kommen Ihnen in den Sinn?

Sicherheit und Stabilität: Die Erosion der Sicherheitslage ist schockierend, weckt aber zugleich ein Gefühl von Patriotismus und einen Drang, die Terroristen zu bekämpfen. Im Fall von Mali kommen die aus dem Norden des Landes. Die tiefere Ursache für das Sicherheitsvakuum in der Sahel-Zone liegt aber aus unserer Sicht im Sturz Gaddafis in Libyen 2011 begründet. Die Menschen hier geben also dem Ausland die Schuld an den daraus resultierenden Sicherheitsproblemen.

 

Die NATO-Intervention in Libyen 2011 als alleinige Terrorismus- Ursache lässt aber andere wichtige Faktoren völlig außer Acht.

Mag sein. Das ist eine Frage der Wahrnehmung. In der malischen Bevölkerung ist die Sichtweise verbreitet, demnach die Instabilität Folge auswärtiger Intervention ist. Bei meinen französischen Gesprächspartnern bin ich auf taube Ohren gestoßen, wenn ich diese Perspektive erklären wollte. Und als ebenso engstirnig empfand ich das Mantra: »Demokratie bedeutet Wahlen. Wenn der gewählte Präsident gestürzt wird, muss das Militär die Macht wieder abgeben – so einfach ist das!« Und das ist es eben nicht.

 

Frankreich musste einen beispiellosen Einflussverlust in der Region hinnehmen. Wie konnte es dazu kommen?

Paris klammerte sich an Positionen, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Mir liegt die Demokratie sehr am Herzen. Aber ich bin pragmatisch. Die malische Armee hat versucht, mich hinter Gitter zu bringen. Ich bin kein Freund der Militärs, aber ich verstehe, was in unserer Gesellschaft vor sich geht. Die Situation hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren stark verändert, und ich bin sicher, dass Frankreich den verloren gegangenen Einfluss nicht mehr zurückgewinnen kann. Die Länder in Afrika wollen respektvoll und auf Augenhöhe zusammenarbeiten – unsere Partner müssen das verstehen.

 

Russland hat seine Präsenz in der Sahel-Zone ausgebaut, insbesondere nach dem Einmarsch in die Ukraine. Was macht Moskau anders als Paris?

Für mich ist die russische Präsenz eindimensional. Sie konzentriert sich fast ausschließlich auf Sicherheitszusammenarbeit und Waffengeschäfte. Aber Sicherheit ist nicht der einzige Weg zum Erfolg und macht uns im Gegenteil erpressbar. Wirtschaftliche Beziehungen müssen Vorrang vor Sicherheitspartnerschaften haben: Arbeitsplätze für die Jugend, Industrieentwicklung und Handelsbeziehungen mit dem globalen Norden sollten unsere Prioritäten lauten. Diese Botschaft habe ich auch meinen Gesprächspartnern in den USA mitgegeben: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um in Afrika zu investieren. Lassen Sie nicht zu, dass Russen. Türken, Chinesen und sogar Brasilianer alles übernehmen, weil ihr mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt seid.

 

Eine Botschaft, die sich auch an Deutschland richtet?

Deutschland wird anders betrachtet als Frankreich – und ist gerade jetzt in der perfekten Position, um seine Beziehungen zu Afrika voranzutreiben, um langfristig davon zu profitieren. Aber Zuhören ist der Schlüssel zum Erfolg: Diktieren Sie uns nicht die Spielregeln. Gerade junge Afrikaner nehmen das nicht mehr hin und streben eine andere Art von Beziehung zum Ausland an. Sobald das wirklich verstanden wird, werden die Dinge sich verbessern.

 

Sehen Sie eine Chance für die Rückkehr der Demokratie in Mali?

Die Junta hier hat die für Februar 2024 geplanten Wahlen verschoben, weil sie nicht wirklich die Macht abgeben will. Und profitiert dabei von ihrer anhaltenden Popularität. Nun ist Gewalt kein wirksames Mittel, wir brauchen den Dialog. Auch wenn es immer schwierig ist, mit diesen Leuten wirklich ins Gespräch zu kommen. Mein Vater war Soldat – ich weiß, wie die ticken. Wenn sie einmal an der Macht sind, geben sie sie nur ungern wieder ab. Aber wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten, indem wir subtilen Druck, auch von außen, und Gespräche kombinieren. Bislang weigert sich die Junta, die Realität anzuerkennen. Doch irgendwann werden die Menschen genug haben. Deswegen werden die Wahlen kommen: Nicht im Februar. Vielleicht im Mai, Juni oder erst Oktober. Aber 2024, ganz sicher.



Interview zu Sicherheit und Demokratie im Sahel

Moussa Mara, 48, ist Politiker der Yelema-Partei und diente von 2014 bis 2015 als Premierminister Malis. Er ist einer der wenigen afrikanischen Mitglieder des Club de Madrid, einer Vereinigung ehemaliger Staatsoberhäupter.

Von: 
Leo Wigger

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