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Interview mit Amr Elshobaki zu Ägypten, Gaza, und der Hamas

»Unter Mubarak hatte Ägypten noch Einfluss auf die Hamas«

Interview
Interview mit Amr Elshobaki zu Ägypten, Gaza, und der Hamas
Der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen Wikimedia Commons

Der ehemalige ägyptische Abgeordnete und Analyst Amr Elshobaki über Ägyptens Schlüsselrolle im Nahostkonflikt, der Bedeutung des Grenzübergangs Rafah – und wie viel Einfluss Ägyptens Regierung auf die Hamas hat.

zenith: Einigen Meldungen nach hatte Ägyptens Geheimdienst Israel Tage vor der Hamas-Terroroperation vor einem möglichen Schreckensszenario gewarnt – doch Premier Benjamin Netanyahu soll die Hinweise auf die Attacke ignoriert haben.

Amr Elshobaki: Ich kann das letztlich nicht bestätigen, inwiefern diese Gespräche stattgefunden haben – ich glaube nicht daran. Vor allem ist es der Hamas gelungen, ihre Intentionen verdeckt zu halten. Bewusst haben sie sich bei den Gefechten zwischen dem »Islamischen Dschihad« und Israel im Mai 2023 zurückgehalten. Es ist nicht so, dass Israel nicht hingehört hat – Israel hat es der Hamas einfach nicht zugetraut.

 

Ein Schritt zurück: Wo stehen die ägyptisch-amerikanischen Beziehungen gerade – gerade vor dem Hintergrund des BRICS-Beitritts sowie des Korruptionsskandals um den demokratischen Senatoren Robert Menendez, der illegal Lobbyarbeit für das Sisi-Regime betrieben haben soll?

Die Vertrauensbasis zwischen der Biden-Administration und Sisi ist schon lange angekratzt. Bereits Barack Obama hat man in Kairo teilweise als Unterstützer der Muslimbruderschaft erachtet – diese ägyptische Wahrnehmung hält sich in Bezug auf die Biden-Administration. Die Beziehungen sind unterkühlt – Ägypten hält sich aus dem Ukraine-Konflikt heraus und das Weiße Haus bringt immer wieder Menschenrechte zur Sprache. Es ist also wenig verwunderlich, dass Ägypten eher Richtung China und Russland schaut. Aber die Entfremdung auf dieser Eben hat kaum Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen der bilateralen Beziehungen: die anhaltende ägyptische Abhängigkeit von den USA sowie die gemeinsamen Sicherheitsinteressen.

 

Die Hamas ist als Ableger der Muslimbrüder die Organisation für Ägypten ein Feind. Trotzdem lässt sich kaum bestreiten, dass Waffen auch über den Landweg in den Gazastreifen gelangen.

Erstens einmal ist die Hamas nur auf den ersten Blick Teil der Muslimbrüder. Schließlich spielt sie immer auch die nationalistische Karte – die »palästinensische Sache« ist ihre Triebfeder. Allerdings muss man sagen, dass während der Ära Mubarak Ägypten stärker ein Auge auf der Hamas hatte. Doch Abdul-Fattah Al-Sisi hat diese Kanäle gekappt. Stattdessen setzt er auf mehr Zäune und Sicherheitsoperationen, um die ständigen Grenzlücken zu schließen. Die Bemühungen der ägyptischen Administration sind sicherlich ernst gemeint. Die Hamas ist heute eine Bedrohung für Ägypten und steht mehr denn je unter dem Einfluss Irans und Katars. Die Netzwerke zwischen ägyptischen Banden im Sinai und der Hamas sind nicht vollständig neutralisiert, und es gestaltet sich für den ägyptischen Staat schwierig, den Schmuggel von Waffen komplett zu unterbinden.

 

»Solch ein Gesichtsverlust könnte Sisi teuer zu stehen kommen«

 

Noch am ersten Tag bombardierte Israel den Grenzübergang Rafah. Erst zehn Tage später hat Israel der Öffnung sowie Lieferung von humanitären Hilfsgütern zugestimmt.

Sicherlich eine klare Botschaft an die ägyptische Regierung seitens Netanyahu: Israel will verhindern, dass die Hamas-Anhänger ins Ausland entkommen. Dahinter steckt aber ebenso und eine symbolische Ansage an die Palästinenser: Von hier kommt ihr nicht weg. Auch US-Präsident Joe Biden hielt sich lange gedeckt, was den humanitären Korridor in den Gazastreifen anbetrifft. Nun zeigt sich, dass die amerikanische Diplomatie hinter den Kulissen Wirkung entfaltet hat.

 

Weshalb öffnet Ägypten nicht einseitig die Grenzen, sodass zumindest die Palästinenserinnen und Palästinenser, die aus dem Gaza fliehen wollen, herauskommen?

2008 hat Hosni Mubarak palästinensische Flüchtlinge in den Sinai gelassen – alle sind nach dem Krieg in den Gazastreifen zurückkehrt. Doch die momentane Situation sieht ganz anders aus: Israels Offensive und Bombardierung des Gazastreifens haben ein Ausmaß erreicht, das die Menschen in die Flucht zwingt. Ägypten will dieses Spiel nicht mitspielen – das käme einem Blankoscheck für die Israelis gleich, die Palästinenser loszuwerden und sich so der »Palästinensischen Frage« zu entledigen. Würde Sisi dem zustimmen, wäre das ein Gesichtsverlust, der ihn teuer zu stehen kommen würde.

 

Sicherlich würde eine Grenzöffnung auch für den Sinai ein Sicherheitsrisiko darstellen – zumal die Provinz als Hochburg von Islamisten gilt.

Sicherlich veranlassen derlei Sicherheitsbedenken die ägyptische Regierung dazu, die Grenzen nicht zu öffnen. Die Hauptsicherheitsrisiken für Ägypten gehen aus von Islamisten im eigenen Land aus, nicht von der Hamas. Und trotzdem ist es klar: Das Errichten von Flüchtlingslagern mit Tausenden von Flüchtlingen im Sinai innerhalb weniger Tage würde zu Spannungen führen. Insgesamt überwiegt in Kairos strategischen Überlegungen aber die Prämisse, sich in der Palästinenserfrage nicht von Israel hinters Licht führen zu lassen.

 

Im Schatten des Krieges bringen sich weitere internationale Akteure in Stellung. So hat sich etwa Wladimir Putin als Vermittler ins Spiel gebracht. Ein glaubwürdiger Vorstoß?

In der arabischen Welt ist die russische Reaktion mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen worden. Aber Moskaus diplomatische Bemühungen sind rein symbolischer Natur. Die Verhandlungsmacht liegt in den Händen von Doha und Washington. Unter Mubarak hatte Ägypten nicht zuletzt wegen der Gesprächskanäle zur Hamas in diesen Fragen noch was zu Sagen. Diesen Einfluss hat Ägypten eingebüßt.



Interview mit Amr Elshobaki zu Ägypten, Gaza, und der Hamas

Amr Elshobaki ist politischer Analyst und ehemaliges, parteiunabhängiges Mitglied des ägyptischen Parlaments (2011 und 2015). Er ist Autor einer Reihe von Büchern und Artikeln zur ägyptischen Muslimbruderschaft, Islamismus und ägyptischer Politik.

Von: 
Pascal Bernhard

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