Lange hielt sich die iranische Führung über das wahre Ausmaß der Corona-Epidemie bedeckt. Nun blickt die Welt besorgt auf die Ausbreitung des Virus im Nahen Osten. Auf Twitter ist der Frust über Teherans Informationspolitik groß.
Die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus war in dieser Woche das beherrschende Thema auf Twitter. Auf allen Kontinenten werden die Schutzvorkehrungen intensiviert, der globale Handel und Transitverkehr sind immer mehr eingeschränkt. Inzwischen hat sich das Virus von Beirut bis Abu Dhabi über den ganzen Nahen Osten verbreitet. Saudi-Arabien zum Beispiel stellt bis auf Weiteres keine Visa mehr für Umra-Reisen aus.
Besonders Iran gerät dabei in den Blickpunkt. Nachdem gleich mehrere Regierungsmitglieder infiziert wurden, stellt sich die Frage, wie groß das Ausmaß der Verbreitung des Corona-Virus wirklich ist. Beobachter werfen dem Regime in Teheran vor, Informationen zurückzuhalten und so die Ausbreitung noch zu beschleunigen. Während Teherans Krisenmanagement im Innern wie im Ausland in der Kritik steht, im Netz ist ein Kampf um die Deutungshoheit über Ansteckungszahlen und Gegenmaßnahmen entbrannt.
Die iranisch-amerikanische Journalistin schreibt unter anderem für die BBC und Al Jazeera. Mortazavi teilt die Titelseite der Tageszeitung Iran und versucht, die Gemütslage ihrer Landsleute zusammenzufassen: Angesichts der vielen Krisen der letzten Monate, der Verfehlungen der eigenen Regierung und der Revolutionsgarde, den wiederkehrenden Fluten, den Sanktionen, und nun des Coronavirus, bleibe den Iranern nur noch Zweckoptimismus.
IRAN newspaper’s front page photo embodies a general sentiment among many Iranians these days: trying to reduce the widespread panic and assure each other that despite the dire spread of the #Coronavirus across Iran, they will overcome the crisis. pic.twitter.com/4xMKfQTXIE
— Negar Mortazavi نگار مرتضوی (@NegarMortazavi) February 27, 2020
Wie sehr die Darstellung der Regierung in Sachen Coronavirus von der tatsächlichen Lage in Iran abweicht, dokumentiert die Kolumnistin Mina Bai auf ihrem Twitteraccount. Sie postet ein Video, dass den Alltag von Ärzten und Krankenschwestern im Kampf gegen Neuinfektionen zeigt – viele riskieren dabei ihre eigene Gesundheit.
This is the real face of #Coronavius in action, not the propaganda footage of Iranian regime's officials. Patient coughing & having trouble breathing. Doc prescribing medication as fast as he can. Thanks to dedicated medical personnel in Iran risking their lives helping patients pic.twitter.com/Y7saq4Odi4
— mina bai (@bai_mina) February 27, 2020
Die Nahost-Korrespondentin des Wall Street Journal hat eine Liste nicht ganz ernst gemeinter Überlegungen zu den Ursprüngen des Corona-Virus erstellt – und kommentiert auf diese Weise die Welle von Verschwörungstheorien, die die Ausbreitung begleiten und eine effektive Aufklärung erschweren.
I think it is only appropriate to introduce the world to some of the Middle East’s conspiracy theories about the Coronavirus.
— Summer Said (@summer_said) February 27, 2020
Ob Martin Gehlen seine These ernst gemeint hat, die er auf Zeit Online veröffentlicht hat? Seine zweifelhafte Behauptung: Für die Ausbreitung des Virus seien vor allem die schiitischen Pilger und deren Ritual des Schrein-Küssens verantwortlich. Seine unbelegte Theorie mag ungeprüft durch das Lektorat gegangen sein. Warum sie allerdings im Twitter-Teaser zum Artikel so prominent auftaucht, ist kaum zu erklären. Denn wie genau sich die Krankheit vor allem innerhalb Irans verbreiten konnte, ist noch immer nicht geklärt.
Zur Ausbreitung des #Coronavirus im #Iran trägt in erster Linie die Sitte schiitischer Pilger bei, Heiligtümer zu küssen und den Händen zu berühren. https://t.co/8QELfyWuus
— ZEIT ONLINE (@zeitonline) February 27, 2020
Einen düsteren Ausblick gibt Hassan Hassan vom »Center for Global Policy« und verlinkt auf einen Artikel seines Kollegen Michael Knight. Der ist nicht nur ausgewiesener Irak-Experte, sondern beschäftigt sich auch mit Zukunftsszenarien für den Nahen Osten. Krankheiten wie Covid-19 werden zur Zukunft einer wachsenden und globalisierten Menschheit gehören. Besonders die soziopolitischen Strukturen des Nahen Ostens bieten Nährboden für die Verbreitung von Pandemien, argumentiert Knight in seinem Gastbeitrag für das Portal Politico. Die Folgen spüren Länder wie Iran, aber auch Saudi-Arabien, Irak und der Libanon schon jetzt.
On why we should start being concerned about pandemics in the Middle East, by @Mikeknightsiraq.
— Hassan Hassan (@hxhassan) February 27, 2020
[Just yesterday, Saudi Arabia suspended pilgrimage travel into the kingdom. Other mega events in the coming months include the Hajj & Expo 2020] https://t.co/ydEUn5m0yN