Diesmal waren es über 20 Tote. In regelmäßigen Abständen eskaliert in Ägypten die Gewalt auf der Straße – und das Militär ist immer mittendrin. Doch eines ist diesmal anders.
Es ist mal wieder so weit – das postrevolutionäre Ägypten hat seine neue Straßenschlacht. Seit letzten Freitag demonstrieren verschiedene Gruppen vor dem Verteidigungsministerium im Kairoer Stadtteil Abbasseya, trotz des friedlichen Protests gab es immer wieder Meldungen über Verletze oder unbekannte Angreifer. In den Morgenstunden am Mittwoch eskalierte die Situation dann: eine Gruppe unbekannter, schwer bewaffneter Männer griff die Demonstranten mit Molotow-Cocktails, Schusswaffen und Messern an.
Innerhalb weniger Stunden wurden mindestens 9 Personen getötet, viele weitere verletzt. Einige wurden auch im Krankenhaus noch angegriffen und getötet. Am Abend dann wurden schon 20 Todesopfer gezählt. Den Demonstranten gelang es, einige der Angreifer festzunehmen – und sie stellten Erstaunliches fest: die Angreifer trugen Lebensmittelboxen des Militärs bei sich. Für die Demonstranten ein Beweis dafür, dass die Angreifer vom Militär geschickt, bezahlt oder engagiert wurden.
Was nun folgt, das haben wir fast jeden Monat erlebt: im Oktober in Maspero, im November auf der Mohamed-Mahmoud-Straße, im Dezember die Qasr-el-Aini-Straße, im Februar nach den Ereignissen im Stadion von Port Said dann vor dem Innenministerium in der Mansour-Straße. Jetzt also Abbasseya. Militär oder nicht identifizierbare Angreifer greifen mit scharfen Waffen die Demonstranten an, diese wehren sich mit Steinen und improvisierten Molotow-Cocktails. Ein paar Tage lang dauerte jeweils der Stellungskrieg mit zahlreichen Opfern auf Seiten der Demonstranten. Warum das Militär immer wieder die eigentlich eher kleinen Demonstrationen angreift und damit neue Märtyrer produziert, die wiederum Auslöser für viel größere Demonstrationen sind, ist nicht klar.
Die Schärfe der Auseinandersetzung nimmt zu – auf allen Seiten
Doch dieses Mal sind einige Dinge anders. Erstens hat der Militärrat offensichtlich dazu gelernt, denn in Abbasseya griff nicht wie sonst das Militär an, sondern bewaffnete Männer in zivil. Es sollte nicht wieder Bilder von einem weiteren Massaker des Militärs geben. Diese Strategie war allzu offensichtlich, schließlich bediente sich auch schon das alte Regimes unter Mubarak dieser Schlägertrupps, der so genannten »Baltageya«.
Auch die Demonstranten haben dazu gelernt, sie sind besser bewaffnet als zuvor, sie kämpfen aggressiver. Gefangen genommene Angreifer sollen verprügelt worden sein, Anwohner des Stadtteils berichteten, dass Demonstranten in ihre Häuser eingedrungen sein um von dort aus Steine und Waffen zu werfen. Daraufhin bekämpften auch die Anwohner die Demonstranten. Inwieweit die Anwohner Abbasseyas wirklich involviert sind, ist unklar.
In einer Pressekonferenz behaupteten Vertreter des Militärrats, die Armee habe nichts mit der Gewalt in Abbasseya zu tun. Dennoch sind viele davon überzeugt, dass der Militärrat die Angriffe auf die Demonstranten initiiert hat oder zumindest unfähig war, Sicherheit für Demonstranten und Anwohner zu garantieren. Einige Präsidentschaftskandidaten unterbrachen ihren Wahlkampf und machten den Militärrat für die Eskalation verantwortlich. Viele Protestgruppen und politische Parteien riefen am heutigen Freitag zu Großdemonstrationen auf dem Tahrir-Platz und zu einem Marsch zum Verteidigungsministerium in Abbasseya auf.
Die große Frage ist, wie sich die Gewalt in Abbasseya auf die Wahlen in knapp drei Wochen auswirkt. Das geplante TV-Duell zwischen Amr Mussa und Abdel Moneim Abu El Fotouh wurde auf nächste Woche verschoben. Viele befürchten, dass der Militärrat die Vorfälle zum Anlass nehmen könnte, die Wahlen zu verschieben. Andere behaupten, es sei Teil der Strategie – Wahlen im Chaos ließen sich leichter manipulieren. Der Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei rief dazu auf, die Wahlen zu boykottieren, da der Militärrat offensichtlich ein Spiel spiele und nicht beabsichtige, die Macht an einen gewählten Präsidenten abzugeben. Wie viele diesem Aufruf folgen werden, ist jedoch unklar.