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Rechte und Islamisten demonstrieren in Berlin

Provokativ an der Realität vorbei

Feature

Statt der befürchteten Konfrontation liefert das Aufeinandertreffen mehrerer Demonstrationszüge das bunte Kaleidoskop eines Berliner Bezirks. Amir Heinitz war an einem heißen Samstagnachmittag in Berlin-Neukölln dabei.

Die Flughafenstraße in Neukölln, zwischen Einkaufszentrum und Jobcenter, Heimat der Moschee und des Begegnungszentrum »Dar As-Salaam«, rumänischer Großfamilien in Hinterhöfen, Wohnungsauflösungen, Teestuben, und hippen Galerien, wurde am Wochenende Szene des »Pro-Deutschland«-Demonstrationsumzugs »Hasta la Vista Salafista« und der »Bündnis Neukölln«-Gegendemonstration.

 

Pro-Deutschland, entsprungen aus den Pro-Köln- und Pro-NRW Bewegungen, kooperierend mit den Republikanern, gelegentlich auch von Verfassungsschützern mit NPD und anderen Neonazi-Gruppierungen in Verbindung gebracht, hatte zur Demonstration gegen die angebliche Islamisierung Berliner Kieze aufgerufen.

 

Damit wird dem Beispiel von Pro-Köln gefolgt, dass 2008 in das sich seiner Toleranz rühmende Köln einige hundert europäische Rechtspopulisten und Rechtsextreme zu einer Anti-Islam-Konferenz einlud. Nach Berlin kamen am Samstag Mittag rund 50 »Pro-ler«, überwiegend aus anderen Bundesländern, um vor Moscheen in multikulturellen Nachbarschaften der Hauptstadt ihre Parolen unters Volk zu bringen.

 

Das Pro-Netzwerk setzt sich aus südafrikanischen, österreichischen, belgischen und französischen rechtspopulistischen Gruppierungen sowie verschiedenen »Defence Leagues« zusammen. Wie etwa die »Jewish Defence League«, die sich auf Meir Kahane bezieht, den ideologischen Vater der millenaristisch-terroristischen Siedlerbewegung in Hebron. Ähnlich der Republikaner versteht sich Pro-Deutschland nicht als rechtsextreme Gruppierung, sondern sieht sich als Bewahrer des christlich-jüdisch-griechisch-römischen Abendlandes in der Mitte der Gesellschaft. 

 

Für komplexe Probleme werden einfache Antworten benötigt – und geboten

 

Der Islam wird in Tradition essentialistischer Orientalisten auf ein starres, bedrohliches Verständnis der Scharia, sowie gewalttätige und frauenfeindliche Islamisten reduziert. Eine differenzierte Betrachtungsweise, wie die Bewahrung und Überlieferung der griechisch-römischen Traditionen durch die dynamischen Hochkulturen in Baghdad oder Cordoba im Zeitalter europäischer Hexenverbrennungen und Religionskriege, wird als naiv verschrien.

 

In Köln propagiert die Bewegung die Wiederaufrichtung eines preußischen Reiterdenkmales, biedert sich gleichzeitig der den Holocaust relativierenden katholischen Piusbruderschaft an, und pflastert vor den Landtagswahlen im Mai dieses Jahres das multikulturelle Ehrenfeld im Stil der schweizerischen SVP mit offen islamophober Propaganda zu. Das konkrete Feindbild, das willkürlich auf die breite Masse der muslimischen Bevölkerung ausgeweitet wird, sind die Salafisten.

 

Visuell werden bärtige Männer mit bösen Gesichtsausdrücken und einen Koran wedelnd präsentiert. Seit mehreren Jahren erfahren verschiedene salafistische Gruppierungen unter marginalisierten Teilen der jungen Bevölkerung Zulauf. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen europäischen Ballungsräumen üben fanatische Imame oder andere vom Wahhabismus, Salafismus oder Jihadismus angefeuerte Seelenfänger eine blenderische Anziehungskraft auf Europäer aus, mit und ohne Migrationshintergrund.

 

Abdallah Schleifer, Professor an der American University in Cairo, selbst in den 1970er Jahren vom Judentum zum Islam übergetreten, sieht bei den heutigen Konvertiten zum Islam nicht die religiöse Suche oder den Glauben an Gott als Hauptbeweggrund. Parallelen sieht er eher zur Anziehungskraft des radikalen Kommunismus in den 1960er und 1970er Jahren.

 

Für komplexe Probleme werden einfache Antworten benötigt – und geboten. Im Frühjahr kam es zwischen radikalen Salafisten und Pro-NRW-Mitgliedern bei Demonstrationen in Bonn und Solingen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Mehrere Polizisten wurden schwer verletzt und über hundert Salafisten vorübergehend festgenommen.

 

Nachdem die Staatsanwaltschaft  in Nordrhein-Westfalen weitläufige Razzien im islamistischen Milieu durchführte, setzten sich prominente Salafistenanführer, unter ihnen auch solche mit Verbindungen zu al-Qaida, in das revolutionäre Chaos Ägyptens ab. 

 

Dazwischen stehen nachmittags polnische Bauarbeiter vor dem Spätkauf und trinken ihr Feierabendbier

 

Zwischen dem Tempelhofer Flugfeld im Westen und dem Landwehrkanal im Osten des Berliner Stadtteils Neukölln, zu Zeiten des Kalten Krieges Grenzbezirk zu Ost-Berlin, haben sich über die letzten Jahrzehnte auf Grund der niedrigen Mietpreise verschiedene Gruppen von Neuankömmlingen angesiedelt.

 

In ägyptischen Kulturvereinen flimmert Nile TV, bärtige Barbiers schneiden die Haare von Männern, während aus dem Hintergrund Koranrezitationen erklingen, beim türkischen Supermarkt wird im Winter heißer Tee ausgeschenkt, Schawarmaläden sind Anlaufstationen für Besucher und neue Einwanderer aus der arabischen Welt. Dazwischen stehen nachmittags polnische Bauarbeiter vor dem Spätkauf und trinken ihr Feierabendbier.

 

Hipster entdecken neue Galerien und gründen Latte-Macchiato-Tempel, junge Eltern schieben ihre Kinder an Bio-Metzgern vorbei in experimentelle Kitas und am Rathaus Neukölln treffen sich die aus den sozialen Netzen gefallenen Unterschichten zu Billigfuselparties. Der Tag der Befreiung Neuköllns wird mit Minimal Tech und nackten Körpern zelebriert, in einer Schwulenbar wird Kuffiya-Trägern der Eintritt verwehrt und immer wieder vernimmt man im Sprachengemisch neben dem Spanisch der Wirtschaftsflüchtlinge auch das Hebräisch der vom Dauerkonflikt ermüdeten Israelis.

 

Alteingesessene deutsche und ausländische Neuköllner murren ob der fortschreitenden Gentrifizierung. Teilweise sind die Mietpreise schon höher als im arrivierten Bezirk Prenzlauer Berg. Die Gegendemonstration ist ein Spiegelbild Neuköllns. Die Linke, Verdi, Moschee-Funktionäre, Antifa, Schwarzer Block (eher schwarzes Blöckchen), arabische Jugendliche, die Alteingesessenen aus den Eckkneipen, und Ströme von Hipstern mit bunten Brillen sowie Yuppies mit ihren Designerkinderwagen ziehen die Flughafenstraße hinauf. Die Salafisten sind in der bunten Menge da fast unterpräsentiert.

 

»Und das alles, weil hier 50 Idioten demonstrieren wollen«

 

Die Polizei ist mit gut 30 Einsatzwagen vor Ort. Insgesamt sicherten am Samstag 1.600 Polizisten in Berlin die Pro-Demonstrationen und die von den iranischen Mullahs ausgerufene Demonstration zum »Al-Quds-Tag«. Bei Temperaturen bis zu 35 Grad sind die Polizisten in dicke Verteidigungsanzüge gekleidet – allerdings haben sie meist keine Kampfhelme auf. Gut die Hälfte der Polizisten ist über 40 Jahre alt. Sie verdienen sich durch ihre Abgeklärtheit und Bestimmtheit die Autorität unter den Gegendemonstranten, um brenzlige Situationen immer wieder in friedliche Bahnen zu leiten.

 

Laut der Polizei sollen rund fünfzig »Pro-ler« kommen, um ihren Unmut gegen die Islamisierung des Weddings, Neuköllns und Kreuzbergs auszudrücken. Auf der Flughafenstraße hatte die Polizei die Kreuzung mit der Hermannstraße vorsorglich so weitläufig abgesperrt, dass nicht auszumachen ist, wo die Pro-Deutschland-Demonstration stattfinden soll.

 

Anwohner beklagen die Kosten für das Polizeiaufgebot, »nur weil hier 50 Idioten demonstrieren wollen«, Touristen bleiben verschüchtert mit ihren Rollkoffern zwischen Menschentrauben und Absperrzäunen stecken, andere eher zufällige Demonstranten erfreuen sich der funktionierenden Demokratie.

 

Anwohner und Mitglieder des »Bündnis Neukölln« halten auf Deutsch und Arabisch Reden gegen Fremdenhass und Ungerechtigkeit, in Deutschland und im Nahen Osten. Eine sich als Feministin identifizierende Frau verwehrt sich der Vereinnahmung durch Pro-Deutschland. Sie könne sich selbst für ihre Rechte einsetzen. Die Parolen, ob »Allerta Antifa«, »Allahu Akbar« oder »Nazis raus« sind platt, und brechen nach wenigen Sekunden immer wieder ab.

 

Auf der Straße bleiben Konfetti und Luftschlangen zurück

 

Im Schatten eines libanesischen Cafés wird Tee ausgeschenkt. Auf dem Dach sitzt der Besitzer zusammen mit Fotografen in Camping-Stühlen und betrachtet gut gelaunt das Spektakel. Linke Demonstranten bringen ein Plakat an einem Gitter auf Kopfhöhe an: »Hängt höher! Da unten sieht das keiner«, schallt es von oben. Dazwischen spielen die Gewerkschaftsvertreter von Verdi über Lautsprecher deutschen Hip Hop und Punk.

 

Auf dem gegenüber liegenden Haus wird eine rote Flagge mit dem Konterfei von Kemal Atatürk entrollt. Ein junger Türke in Westenanzug schüttelt den Kopf: »Manche Leute raffen's einfach nicht.« Als die Rechten einige Stunden verspätet doch noch auf dem Columbiadamm eintreffen, strömen gut fünfzig arabische Jugendliche »Allahu Akbar« rufend Richtung Polizeibarrikaden.

 

Ein paar klettern auf Straßenlaternen, um dann postwendend von den älteren Mitgliedern der Gemeinde wieder heruntergezogen zu werden. Der von der Polizei auf Abstand gehaltene Haufen der 50 Provokateure in Polohemden mit ihren in die Jahre gekommenen Mohamed-Karikaturen und überproportionierten Deutschland-Fahnen erntet von den gut 400 Gegendemonstranten hauptsächlich mitleidiges Gelächter.

 

Als feststeht, dass es nicht zu Auseinandersetzungen kommen wird, verstimmen die »Allahu Akbar Antifa«-Gesänge vollkommen und auf der Straße bleiben Konfetti und Luftschlangen zurück. Die Trinker widmen sich wieder dem unerwarteten 4:0-Triumph des Berliner AK über Erstligist Hoffenheim in der ersten Runde des DFB-Pokals, die Hipster ziehen weiter gen Tempelhofer Flugfeld, die fünf vom Schwarzen Block Richtung Kreuzberg und auch den Polizisten streicht wieder ein entspanntes Lächeln über die Gesichter. In der abklingenden Nachmittagshitze rezitiert der glattrasierte Kantor der Dar-As-Salaam-Gemeinde mitten auf der Flughafenstraße den Koran.

 

»Find ich schön«, sagt ein Gegendemonstrant bevor er sich mit seinem Bier dem Neuköllner Nachtleben zuwendet.

Von: 
Amir Heinitz

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