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Monarchie in Saudi-Arabien

Für das Königshaus steht alles auf dem Spiel

Essay

Saudi-Arabiens Außenpolitik wirkt heute auffällig und angstgetrieben. Geografie und Geschichte des Königreichs verraten uns warum: Im Fall von Unruhen könnten die Al Saud buchstäblich in die Wüste geschickt werden.

Saudi-Arabien hat seinen Botschafter aus dem benachbarten Katar zurückgerufen. In der Diplomatie zeugt ein solcher Schritt von massiver Verärgerung. Ein aktueller Anlass wurde zwar nicht genannt. Aber der mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain gemeinsam inszenierte Protest lässt erahnen, dass Saudi-Arabien tiefer liegende und nicht nur tagespolitische Gründe für diese Maßregelung hat.

 

Dass Saudi-Arabien seine Unzufriedenheit neuerdings auf der Bühne der großen Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen will, war erst vor wenigen Monaten in New York sichtbar geworden, als das Land dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die kalte Schulter zeigte. Wer für zwei Jahre als nicht ständiges Mitglied in dieses wichtigste Gremium der UN gewählt werden will, muss vorher weltweit Klinken putzen. Nur jahrelange Vorbereitung zahlt sich aus. Für 2014/2015 war Saudi-Arabien erfolgreich.

 

Aber noch ehe das Land den erweiterten Einfluss auf die Weltpolitik hätte nutzen können, hat es auf diesen Sitz wieder verzichtet. Und zwar mit Aplomb: aus Protest gegen das Ausbleiben einer Entscheidung über eine militärische Intervention in Syrien.

 

Die ursprüngliche Heimat der Al Saud hat keine Küsten – und keine Rohstoffe

 

Ausgerechnet Saudi-Arabien, bisher bekannt für seine nach außen unauffällige Diplomatie. 2002 war das Königreich einmal mit einem öffentlich verkündeten Friedensplan für Palästina hervorgetreten. Danach übte es seinen Einfluss wieder in verschlossenen Konferenzsälen aus. Erst Riads Finanzhilfen für oppositionelle Kämpfer gegen das syrische Assad-Regime machten deutlich, dass die saudische Politik in einem Paradigmenwechsel begriffen war.

 

Man muss wohl auf der Arabischen Halbinsel gelebt haben, dort gereist sein, um zu verstehen, warum Saudi-Arabien heute eine so viel sichtbarere Politik betreibt als noch vor zehn Jahren.  Was eine Wüste ist, erkennt man erst, wenn man hineingegangen und hindurchgefahren ist. Man muss andererseits die Luftfeuchtigkeit einer Hafenstadt wie Dschidda auf der eigenen Haut an sich herablaufen gespürt haben und vergleichen können, wie einem der Wind in Riad wie aus einem Backofen ins Gesicht bläst. Erst dann begreift man die Morphologie dieser meerumschlungenen Wüste.

 

Die Muslimbrüder als Gefahr für den Wahhabitenstaat

Man ahnt, warum an den Küsten ganz andere Menschen wohnen als im Inneren. Dann wundert man sich nicht mehr, dass das Königreich Saudi-Arabien durch nicht weniger als elf, beinahe zwölf Küstenstaaten vom Meer abgeschnitten ist: von Kuwait, Katar, sieben Emiraten, dem Oman und dem Jemen; hinzu kommt noch die vorgelagerte Insel Bahrain. Abgesehen von der eigenen Küstenlinie zwischen Kuwait und Katar im Osten und zwischen Jemen und Jordanien im Westen sind die Wüstensöhne umgeben von Seefahrern und Bergvölkern.

 

Der Blick auf die Grenzen Saudi-Arabiens erleichtert das Verständnis für die jüngsten Reaktionen des Landes auf die Veränderungen in den Nachbarländern. Was war passiert? Mubarak und Ben Ali wurden gestürzt, der jemenitische Präsident Saleh sogar schwer verletzt – und die USA haben dies alles geschehen lassen. Im Verhältnis zu Iran musste Saudi-Arabien plötzlich gemeinsame Interessen mit Israel erkennen und beteiligte sich darüber hinaus mit Geld, möglicherweise auch mit Waffen, an dem Stellvertreterkrieg in Syrien.

 

Mursi an der Macht in Kairo stieß in Riad auf hartnäckigen Widerstand. Die Muslimbrüder sind den Saudis suspekt: Hervorgegangen aus antikolonialen Befreiungsbewegungen streben sie seit fast 100 Jahren an die Macht. Das passte nicht in das saudische Verständnis vom Bündnis zwischen Klerikern und Königshaus, in dem die politische Macht gerade nicht den religiösen Führern in die Hand gegeben worden ist. Die in Zukunft absehbare Unabhängigkeit der USA von Erdöleinfuhren droht das politische Gewicht aller arabischen Golfstaaten erheblich zu vermindern.

 

Die USA waren bis vor kurzem ein zwar ungeliebter, aber politisch, militärisch und wirtschaftlich dominanter und unverzichtbarer Partner. Jetzt ist das Königshaus alarmiert. Inzwischen wagt es das Land, ein antagonistisches Profil zu den USA zu zeigen, vor allem wegen Obamas neuer Iranpolitik.  Kaum ein Beobachter will in dem saudischen Vorgehen gegen den syrischen Präsidenten etwas Anderes erkennen als einen Stellvertreterkrieg gegen Iran. Die Frage »warum?« zwingt zu einem Blick in die Geschichte.

 

Das Machtprofil Saudi-Arabiens wird gern beschrieben als das Bündnis zwischen den Wahhabiten als einer streng fundamentalistischen Ausprägung des sunnitischen Islams mit einem auf Expansion bedachten Beduinenstamm aus der Gegend von Riad, den Al Saud. Die zentrale religiöse Botschaft des Muhammad Ibn Abd al-Wahhab in der Mitte des 18. Jahrhundert war die Rückbesinnung auf einen strikten Monotheismus. Daraus folgte vor allem die Abkehr von jeder Art von Heiligenverehrung, die sich in vielen Varianten lokalen Volksglaubens weit verbreitet hatte. Also: kein Ahnenkult, keine Mausoleen (nicht  einmal Gräber).

 

Solche Predigten richteten sich massiv – und möglicherweise in erster Linie – gegen die Schiiten. Wer sich heute mit schiitischen Ayatollahs unterhält, hört, für ein wahres Verständnis des Islam müsse man das Leben und Leiden Husseins studieren. Der Name des Propheten Mohammed wird dagegen, außer in den rituellen Glaubensformeln, vergleichsweise selten erwähnt. Das ist für Wahhabiten Häresie. Wahhabiten sollte man besser nicht in den Irak nach Nadschaf und Kerbela mit ihren pompösen Mausoleen und riesigen Gräberfeldern mitnehmen.

 

Sie würden von einer Krise in die andere stürzen. Trotzdem hat es zwischen Saudis und Iranern niemals direkte kriegerische Auseinandersetzungen gegeben, von lokalen Scharmützeln schon im Osmanischen Reich abgesehen. Auch heute noch würde aus religiösen Differenzen wohl kein Kriegsgrund hergeleitet. Warum spitzt sich dann gerade jetzt die Konfrontation zwischen Sunniten und Schiiten dermaßen zu? Hat jemand im Königreich geglaubt, die Nachbarn würden eine Atombombe wirklich einsetzen, wenn sie diese denn hätten? Wohl kaum.

 

Und trotzdem fühlt sich die Herrscherfamilie der Al Saud real bedroht. Für solche Ängste gibt es handfeste Gründe. Denn im Osten der Halbinsel, wo die Ölquellen sprudeln, leben schiitische Minderheiten. Viele Arbeiter sind schiitisch, das große Geld verdienen aber die Wahhabiten. Dann entstand vor drei Jahren eine arabische Demokratiebewegung, die ihre autokratischen Herrscher absetzte: in Tunesien, Ägypten, dem Jemen. Die schiitische Mehrheit des kleinen Inselstaates Bahrain – inzwischen durch eine lange Brücke mit der nicht so weit entfernten saudischen Ostprovinz verbunden – versuchte, mit Massendemonstrationen ihre sunnitische Herrscherfamilie abzuschütteln.

 

Würden die Ostprovinzen und der Hedschas sich erheben, bliebe von Saudi-Arabien fast nichts mehr übrig

 

Das brachte das Gefäß zum Überlaufen: Saudi-Arabien trat mit seinen Panzerwagen vor laufenden Fernsehkameras des katarischen Senders Al-Jazeera aus der Geheimdiplomatie heraus und half, den Aufstand niederzuschlagen. Protestbewegungen der Schiiten in mehreren Orten der saudischen Ölprovinz im Osten, zum Teil mit engen verwandtschaftlichen Beziehungen nach Bahrain, hatten die eigentliche Gefahr verdeutlicht: Verlangten die Schiiten jetzt ihren Anteil an den Gewinnen? Planten sie Sabotageakte gegen die Ölförderung? Schlimmer noch: Strebten sie nach Unabhängigkeit, möglicherweise von Iran unterstützt? Auch mit Waffen?

 

Ein solches Szenario brauchte sich nicht nur auf protestierende Schiiten  zu beschränken. Auch die Sunniten der Ostprovinz könnten Geschmack daran finden, sich gemeinsam mit den dortigen Schiiten selbständig zu machen. Nach dem Vorbild der Staatsgründungen in Brunei oder auch in Singapur könnten sie so ihre strategische Lage und ihre Rohstoffe nur noch für sich zu Geld machen wollen. Diese Perspektive bedeutete nichts Anderes als ein Zurückdrängen der Beduinen in ihr – ölarmes – Kerngebiet.

 

Nicht zu vergessen: In osmanischer Zeit hatte der Stamm der Saud auf der ganzen Halbinsel keinen eigenen Herrschaftszugang zu den die Halbinsel umgebenden Meeren. Die Osmanen kümmerten sich weniger um die Wüstengebiete im Inland. Unter den Sultanen aus Istanbul waren es die Haschemiten, die die Küste des Roten Meeres kontrollierten und eine traditionelle Legitimität erfuhren. Sie gehörten nicht nur dem gleichen Stamm der Quraish an wie der Prophet selbst, sondern dienten auch bis 1925 fast tausend Jahre als Großscherife von Mekka. 

 

Weil die Herrschaft der Haschemiten im heutigen Jordanien bei einer palästinensischen Bevölkerungsmehrheit nicht langfristig gesichert erscheint, kann man sich durchaus die saudische Schreckensvision vorstellen, die Haschemiten würden gegen ein geschwächtes saudisches Königshaus wieder dahin gehen wollen, wo sie hergekommen waren. Dann bliebe für Saudi-Arabien nur ein Beduinenstamm in neuen alten Grenzen, ohne die exorbitanten Gewinne aus der Ölförderung und ohne das legitimierende Amt des Hüters der heiligen Stätten.

 

Dass Saudi-Arabien in Grenzfragen massiv auf die Nachbarn Einfluss zu nehmen sucht, hat eine lange Tradition: gegenüber Kuwait, bei der Bildung der VAE und in jüngerer Zeit vor allem an den Grenzen zum Jemen. Seit die USA versuchen, ihr seit Jahrzehnten zerrüttetes Verhältnis zu Iran zu normalisieren, werden aus den Angstvorstellungen der Al Saud offenbar Planungsszenarien und Handlungsanweisungen, es nirgendwo auch nur ansatzweise so weit kommen zu lassen.

 

Die Regierung in Riad tut sich schwer damit, die Spannungen vor allem als hausgemachtes Verteilungs- und Menschenrechtsproblem zu erkennen und zu behandeln. Das lässt erwarten, dass Iran und die eigenen schiitischen Minderheiten für Saudi-Arabien noch auf geraume Zeit eine nicht beherrschte Herausforderung bleiben.

Von: 
Gerhard Fulda

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