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China und Russland buhlen um Einfluss in Kasachstan

Im Würgegriff der Seidenstraße

Feature
China und Russland buhlen um Einfluss in Kasachstan
Von links nach rechts: Usbekistans Präsident Shavkat Mirziyoyev, Russlands Präsident Wladimir Putin, der langjährige kasachische Präsident Nursultan Nazarbayev, Chinas Präsident Xi Jinping Kreml

Kasachstan bringt sich als Transitland zwischen Europa und Fernost in Stellung. Doch nach dem Rückzug von Langzeit-Präsident Nasarbayev rumort es im Innern und in der Bevölkerung wächst der Widerstand gegen den Einfluss aus Moskau und Peking.

Dreißig Jahre herrschte Nursultan Nasarbayev in Kasachstan – bis der 78-Jährige im März seinen Rückzug ankündigte. Anfang Juni wählten die Einwohner des zentralasiatischen Landes erstmalig einen neuen Präsidenten. Mit Nasarbayevs engen Vertrauten Kassym-Jomart Tokayev hält zwar ein neuer Amtsträger, aber wohl keine neue Politik Einzug im Ak-Orda-Palast von Astana/Nursultan. Die zahlreichen Proteste, unter anderem organisiert durch die Bewegung »Wach auf, Kasachstan«, provozierten zwar Verhaftungen von über 500 Personen, aber keine Ergebniskorrektur des umstrittenen Wahlgangs.

 

Für Übergangspräsident Tokayev sowie die Familie Nasarbayev im Hintergrund stand bei den Wahlen am 9. Juni 2019 einiges auf dem Spiel. Aber nach diversen Repressalien gegenüber der Opposition kam es zum erwarteten Ergebnis. Bei friedlichen Demonstrationen im Vorfeld griff der Staat hart durch und nahm Hunderte Menschen fest. Zu den Protesten hatte der aus Kasachstan geflohene Mukhtar Ablyasov, ein bekannter Regimekritiker, aufgerufen. Doch auch diese größten Demonstrationen seit Jahren beeinflussten das Resultat nicht. Tokayev erhielt mehr als 70 Prozent der Stimmen der 10 Millionen Wahlberechtigten. Oppositionspolitiker Amirzhan Kosanov fiel mit knapp über 16 Prozent aussichtslos ab.

 

Nun gilt es für den neuen Präsidenten, sich sowohl innen- als auch gegenüber dem großen Nachbarn China außenpolitisch zu behaupten. Im Rahmen der »Road and Belt Initiative« investiert Peking seit Jahren besonders im Rohstoffsektor. Durch Beteiligungen wie zum Beispiel des chinesischen staatlichen Ölkonzern CNPC an kasachischen Pipelines, Raffinerien und Ölförderern und umfangreichen Krediten an Astana droht auch die Steppenrepublik in die Abhängigkeit des riesigen Nachbarn zu rutschen. Der Bau der Eisenbahnstrecke Dosty-Aktogai durch die Chinesen könnte Kasachstan mit 40 Millionen Tonnen Güter pro Jahr zum wichtigen Transitland werden lassen. Doch eben jene Investitionen werden nun zum Politikum. Zu den aktuellen innenpolitischen Turbulenzen aufgrund des Regierungswechsels gesellt sich die außenpolitische Neu-Positionierung zwischen den beiden Weltmächten Russland und China.

 

Angehörige und Vertraute des Ex-Präsidenten halten in wichtigen Positionen in Wirtschaft und Politik die Zügel der Macht weiter in der Hand.

 

Nasarbayevs Rücktritt im März 2019 hatte selbst Experten für die Region überrascht. Der 1991 nach dem Zerfall des Sowjetreichs gewählte Präsident herrschte seither autokratisch und mit Hilfe eines ausgeklügelten Klientelsystems. Die Opposition wurde kleingehalten, das offizielle Ergebnis seiner letzten Wiederwahl 2015: 97 Prozent. Sein Rücktritt beschließt nicht nur das Ende seiner politischen Karriere Ende, sondern auch das einer Ära – so hofften viele Kasachen.

 

Mit Nasarbayev verschwindet einer der letzten post-sowjetischen Politiker, der sich durchgehend an der Macht hielt. Doch wie schon diverse Autokraten in der arabischen Welt sicherte sich der 78-Jährige für seine Familie Reichtümer im Westen. Finanzielle Existenzängste werden die Nasarbayevs nicht plagen. Darüber hinaus scheint ihm die Kontrolle über Kasachstan nicht zu entgleiten. Nahe Angehörige und Vertraute des Ex-Präsidenten halten in wichtigen Positionen in Wirtschaft und Politik die Zügel der Macht weiter in der Hand.

 

Wahrscheinlich hatte ihm der Tod des usbekischen Autokraten Islam Karimow 2016 die Augen geöffnet. Im Nachbarland scheiterte der Versuch, dessen Tochter Gulnara an die Macht zu bringen. So vermied es Nasarbayev taktisch geschickt, etwa seine Tochter Dinara als Nachfolgerin zu installieren. Stattdessen positionierte er den bisherigen Parlamentsvorsitzenden Kassym-Jomart Tokayev als Übergangspräsidenten.

 

Trotz der Proteste in diesem Sommer rechnen viele Kasachen Nasarbayev noch heute die Erringung der Unabhängigkeit 1990 hoch an.

 

Der 65-jährige Gefolgsmann hatte seine Loyalität bereits als Premier- und Außenminister bewiesen. Er ist mit den geopolitischen Besonderheiten Kasachstans, besonders mit dem Spannungsverhältnis zwischen China und Russland, bestens vertraut. Naserbayev, der seine Nachfolge bereits 2016 eingefädelt hatte, behielt sich zwei weitere Machtpfeiler vor. So ist seine älteste Tochter Dariga Vorsitzende des kasachischen Oberhauses. In dieser Funktion kann sie entscheidenden Einfluss auf die Arbeit von Tokayev ausüben. Darüber hinaus bleibt der Ex-Präsident Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates und behält selbst nach dem Ende seiner Amtszeit Immunität vor Strafverfolgung. Der Sicherheitsrat verfügt seit Sommer 2018 über weitreichende Befugnisse.

 

Und trotz der Proteste in diesem Sommer rechnen viele Kasachen Nasarbayev noch heute die Erringung der Unabhängigkeit 1990 hoch an – eine Gefühlslage, die die neue Führung für sich nutzen will. So entschied das Parlament unmittelbar nach der Ankündigung des Rücktritts, die Hauptstadt Astana in Nursultan (»kleiner Sultan«) umzubenennen.

 

Und genau in diese Zeit des »Übergangs« fällt die wichtige Positionierung Kasachstan im ökonomischen Konkurrenzkampf zwischen Peking und Moskau. Die sogenannte Neue Seidenstraße ist ein zweischneidiges Schwert für ein Land wie Kasachstan. Das neuntgrößte Land der Welt ist reich an Rohstoffen und verfügt über großes landwirtschaftliches Potenzial. Geografisch eingezwängt zwischen China und Russland, fehlt Kasachstan jedoch ein eigener Anschluss ans Meer, die Transportwege sind lang. Die Seidenstraße könnte Abhilfe im doppelten Sinne leisten.

 

Der Verkauf der größten kasachischen Staatsfirmen an Investoren spülte zwar Geld in die Kassen, birgt aber auch politischen Sprengstoff.

 

Der Erfolg der chinesischen Wirtschaft in den vergangen Jahrzehnten basiert auf kontinuierlichem Wachstum und bedingt Expansion. Die politische Führung ist sich dessen bewusst. Der ungehinderte und ununterbrochene Export aber auch Import sollen auf einer doppelten »Seidenstraße« die Märkte und Ressourcenquellen im Westen erreichen. Auf der einen Seite entsteht ein Seeweg, entlang einer Art »Perlenkette« von Hafenstützpunkten. Dafür sicherte sich Peking beispielsweise einen Pachtvertrag mit dem griechischen Hafens Piräus und finanziert den Ausbau des Tiefseehafen Gwadar in Pakistan. Parallel bildet der »Silk Road Economic Belt« auf dem Landweg entlang der historischen Seidenstraße die Verbindung zum Süden und ins Landesinnere. Auf dieser Strecke sollen Produkte von Lianyungang am Gelben Meer über den Landweg bis nach Rotterdam gelangen.

 

Sowohl Straßen als auch eine Eisenbahnverbindung würden das momentane Transportvolumen zwischen China und Europa verdoppeln. Die Lieferzeit für den Warenverkehr würde aufgrund der neuen Infrastruktur auf zehn Tage verringert. Besonders Industrie- und Elektronikgüter, für die der Seeweg zu lang und der Luftweg zu teuer ist, würden profitieren.

 

Kasachstan könnte sich also als Transitland für Hightech-Güter aufstellen. Gleichzeitig erhofft sich Astana einen Industrialisierungsschub entlang dieser Wirtschaftsarterie der Zukunft. Eigene Fabriken könnten zur Diversifizierung des Rentierstaates beitragen. Um sich jedoch vom Rohstoffexport und von den Schwankungen des Erdölpreises unabhängig zu machen, braucht es externe Investitionen, begleitet von einem Privatisierungsprogramm. Der Verkauf der größten Staatsfirmen an Investoren spülte zwar Geld in die Kassen, birgt aber auch politischen Sprengstoff. Proteste waren die Folge.

 

Kasachstan setzt seit 2018 auf acht britische Richter, die die Gelder ausländischer Investoren in der Sonderwirtschaftszone in Astana nach britischem Recht absichern sollen.

 

Besonders die soziale Fürsorge für die unzähligen Minenarbeiter könnte bei der Privatisierung von Konzernen wie dem weltweit größten Uranförderungskonzern Kazatomprom oder dem staatlichen Energieriesen Kazmunaigaz auf der Strecke bleiben. Einige Minenstädte befürchten daher Werkschließungen und Entlassungen. Um der Angst vor der weitverbreiteten Korruption entgegen zu treten, setzt Kasachstan seit einem Jahr auf acht britische Richter – darunter etwa Harry Woolf, bis 2005 Lord Chief Justice des Vereinigten Königreiches –, die die Gelder ausländischer Investoren im neu geschaffenen Finanzzentrum, einer Sonderwirtschaftszone in Astana, nach britischem Recht absichern sollen. Vergleichbare Institutionen finden sich etwa auch in Hongkong oder Singapur.

 

Für Peking spielt die Sicherheit der Investitionen eine geringere Rolle. Global könnte der chinesische Yuan dank hoher Fremdwährungsreserven dem Dollar den Rang ablaufen. Regional beabsichtigt China mit seiner »Neuen Seidenstraße«, die ökonomische Vormachtstellung in Zentralasien zu erlangen. Kasachstan ist dafür von zentraler Bedeutung. Es war sicherlich kein Zufall, dass Peking seine »Road and Belt«-Initiative 2013 in Astana vorstellte. Auf der Weltausstellung in der kasachischen Hauptstadt 2017 beschwor der chinesische Präsident Xi Jinping eine »Partnerschaft für die Ewigkeit«. So baute Peking in der Grenzstadt Korgas die erste Haltestelle der neuen Zugverbindung außerhalb des eigenen Landes. Mehr als 15.000 Chinesen überqueren die Grenze jeden Tag.

 

Viele der 18 Millionen Kasachen befürchten jedoch den Ausverkauf des eigenen Landes. Bereits heute ist fließen 25 Prozent des kasachischen Erdöls Richtung Osten und nach Russland ist China der zweitgrößte Handelspartner. Ein Gesetz, das Ausländern (vor allem Chinesen) die Pacht von Ackerland für bis zu 25 Jahre erlaubt hätte, führte im Frühling 2016 zu Protesten. Aufgrund der geplanten Liberalisierung des Immobilienrechts gingen damals Tausende Kasachen auf die Straße – ein Novum in dem autokratischen Staat. Die Polizei musste bei diesen größten Demonstrationen seit einem Streik von Erdölarbeitern im Jahr 2011 einschreiten.

 

Die staatliche Unterdrückung der Uiguren belastet das Verhältnis der beiden Nachbarn, denn Xinjiang beheimatet auch über eine Million Kasachen.

 

Neben dem wachsenden Einfluss Chinas beunruhigte die Bürger allerdings auch die wirtschaftliche Lage. Kasachstans Bruttoinlandprodukt fiel wegen des stark gefallenen Erdölpreises erstmalig sein 1998. Die kasachische Regierung ruderte zurück und entließ diverse Minister. Auch im Nachbarland Kirgisistan musste nach Massendemonstrationen ein Vertrag über Bergbaukonzessionen mit chinesischen Firmen rückgängig gemacht werden.

 

An der östlichen Grenze zu Kasachstan stellt das muslimische Turkvolk der Uiguren mit zehn Millionen Menschen über die Hälfte der Einwohner der chinesischen Provinz Xinjiang. Sie riefen in den 1930er und 1940er Jahren bereits zweimal einen unabhängigen Staat »Islamische Republik Ostturkestan« aus. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die damit verbundene Entstehung der sogenannten Stan-Länder sowie der Freiheitskampf Tibets beflügelten die Uiguren in ihren Bestrebungen.

 

Die politische, ethnische und religiöse Verfolgung der Uiguren erregte bereits internationales Aufsehen. Ende 2018 kritisierte Human Rights Watch in einem Bericht die unzähligen »Umerziehungslager« in der autonomen Provinz. Bis zu einer Million Uiguren sollen Chinesisch lernen, auf die Linie der Staatsführung getrimmt werden und letztendlich ihrer Religion abschwören. Doch gleichzeitig investierte die Regierung Unmengen an Geld in die Region, um den Ausbau der »Neuen Seidenstraße« voranzutreiben. Die staatliche Unterdrückung der Uiguren belastet das Verhältnis der beiden Nachbarn, denn Xinjiang beheimatet auch über eine Million Kasachen. Das von China abhängige Kasachstan steht daher politisch zwischen den Stühlen.

 

Dennoch versucht Peking inzwischen, die Unterstützung der kasachischen Bevölkerung auf subtilere Art und Weise zu gewinnen. Peking investiert etwa in Schulen, in denen Mandarin unterrichtet wird. Zudem werden Zehntausende Studenten mit Stipendien nach China gelockt. Aber auch für China ist Kasachstan als Transitland besonders wichtig. Dabei gilt es, sowohl von den internen Problemen in der westlichsten Provinz Xinjiang an der Grenze zu Kasachstan abzulenken, als auch den Konkurrenten Russland in die Schranken zu weisen.

 

Dient das Modell Nasarbayev auch Putin als Vorbild für die Karriere nach der Karriere?

 

Die »Belt and Road«-Initiative spielt Moskau nicht unbedingt in die Karten. 2014 gründete Putin mit Kasachstan, Weißrussland, Armenien und Kirgisistan die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft. So wollte Moskau die ökonomische Entwicklung in Zentralasien koordinieren und kontrollieren. Nun versucht Russland, an Peking verlorenen Boden durch gut zu machen. Ähnlich wie auch gegenüber Ägypten und der Türkei setzt Russland dabei auf die eigene Nuklearindustrie. So plant die staatliche Atom-Holding Rosatom den Bau eines Atomkraftwerkes, das 2025 ans Netz gehen soll. Kasachstan ist zwar der zweitgrößte Produzent von Uran, betreibt aber bislang keine eigene Nuklearanlage.

 

Darüber hinaus könnte Nasarbayevs cleverer Machttransfer durch freiwilligen Rücktritt bei gleichzeitiger Beibehaltung der Positionen als Vorsitzender des Sicherheitsrates sowie als Parteichef auch als Vorbild für Präsident Putin dienen. Bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2024 dürfte er gemäß Verfassung nicht mehr kandidieren.

 

Für die kasachische Nachfolgeregierung gilt es nun, den Spagat zwischen ökonomischen Möglichkeiten und der Rückendeckung der Bevölkerung genau auszutarieren. Ein zu offensichtlicher Ausverkauf und eine Überschuldung, die bereits den ärmeren Nachbarn Usbekistan in die Abhängigkeit von Peking getrieben hat, könnten zu erneuten Protesten führen. Ob sich dann die Kasachen lediglich gegen wirtschaftliche Negativfolgen wehren, oder darüber hinaus politische Konsequenzen einfordern?

Von: 
Heino Matzken

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