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Presseschau zur Offensive von General Haftar auf Tripolis in Libyen

»Es gibt keine guten Führer mehr«

Analyse
Presseschau

Seit April mobilisiert Khalifa Haftar seine Truppen für die Offensive auf Tripolis. Dass die Lage verfahren ist, da sind sich die Medienstimmen im Nahen Osten einig – die Argumentationen könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein. Eine Presseschau.

Youm7

In der ägyptischen Tageszeitung Youm7 argumentiert Autor Akram El-Kassas, ein Hauptgrund für die verfahrene Situation in Libyen wäre die Vielzahl unterschiedlicher Interessen internationaler Akteure.

 

So zeige sich die EU zwar besorgt über die zunehmende Eskalation. Die Unterschiede zwischen EU-Mitgliedern, insbesondere Frankreich und Italien, träten dabei jedoch offen zutage – »was es schwierig macht, in naher Zukunft einen einheitlichen Beschluss zu Libyen zu erreichen.« Europa wisse gleichzeitig um die Risiken eines anhaltenden Chaos in Libyen, insbesondere in Bezug auf »illegale Einwanderung und die Angst, dass Terroristen durch offene Grenzen […] nach Europa ziehen«.

 

Großbritannien stelle sich weiterhin gegen jegliche Einheitsbestrebung, habe angeblich eine Offensive gegen Haftars Streitkräfte gestartet, die der General als »libysche Armee« bezeichnet, und ignoriere die terroristischen Milizen – die für El-Kassas wiederum in Tripoli sitzen. Frankreich und Italien würden offen um Einfluss und libysches Öl konkurrieren und Italien, die frühere Kolonialmacht, hätte kein Problem damit, wieder Präsenz in seiner ehemaligen Kolonie zu zeigen. Auch was die USA und Russland angeht, sieht El-Kassas kaum Bemühungen um eine Lösung im Libyen-Konflikt: Von Washington wäre keine direkte militärische Intervention zu erwarten und Russland pflege weiterhin Beziehungen zu allen Parteien.

 

Haftar, so El-Kassas, wäre sich dieses Interessen-Wirrwarrs durchaus bewusst. Sein Erfolg wäre von der Schnelligkeit und Durchschlagskraft seiner Truppen gegen terroristische Milizen abhängig und könne den Weg für eine politische Lösung ebnen. Ganz im Einklang mit der ägyptischen Position im Hinblick auf Libyen hat El-Kassas dagegen für den Premierminister der international anerkannten Übergangsregierung wenig übrig: Fayiz Al-Serraj könne die Existenz umstrittener Milizen, welche er in seine Streitkräfte zu integrieren versucht, nicht länger rechtfertigen und habe so den Zorn des libyschen Volkes auf sich gezogen.

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Alwasat

Die libysche Online-Zeitung Alwasat hat ihren Sitz in Kairo und hat sich einen Namen als vergleichweise unabhängige Nachrichtenseite gemacht. Nour El-Din El-Sayed El-Thalithy prangert in seinem Kommentar ebenfalls die internationalen Streitkräfte an, die getrieben seien durch ihr Interesse an den Ressourcen des Landes. Seine Hauptkritik gilt jedoch den kriminellen Strukturen innerhalb des Landes. Er ist sich sicher, wer den Zufluss von Waffen und Geld kontrolliert, hat ein Interesse daran, den Status quo beizubehalten und wird sich jedem Versuch, das korrupte System zu zerschlagen, widersetzen.

 

Für die Zukunft Libyens zeichnet er in seinem Kommentar ein schwarzes Bild. Denn die Aufteilung der Macht unter den Rivalen der Revolution, die Präsenz der Milizen und die Gesetzlosigkeit hätten eine Korruption hervorgebracht, die »weit über den Diebstahl öffentlicher Gelder hinausgeht«. Letztendlich, so schließt El-Thalithy, hätten die Profiteure der aktuellen Lage in Libyen große Worte wie Revolution und Religion nur dazu benutzt, um ein korruptes System zu installieren, an dem sie sich nun selbst bereichern. Und er urteilt: »Es gibt keine guten Führer oder Vorbilder mehr«.

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Al-Jazeera

Auf der Webseite des katarischen Senders Al-Jazeera kann sich schon die reine Berichterstattung über Haftars militärischen Vormarsch nicht von der Konfrontationslinie mit Saudi-Arabien und den VAE lösen. In einem Nachrichtenstück heißt es, dass beide Länder die Lage nutzen, um »den Weg zu ebnen für die Stärkung einer autoritären Herrschaft und die Destabilisierung der arabischen Welt«.

 

Dieses Vorgehen wird als historische Kontinuität dargestellt, indem der Artikel auf ein ähnliches Verhalten der beiden Golfstaaten in Ägypten hinweist: Es wäre bemerkenswert, dass Saudi-Arabien gemeinsam mit den VAE schon 2013 den Sturz des Muslimbruders Mohammed Mursi unterstützt hätte – »gestern Ägypten und heute Libyen« lautet die These. Dass der saudische König Salman General Haftar noch Ende März in Riad begrüßte, lässt man ebenfalls nicht unerwähnt und hält sich bei der Einordnung an Ali Bensaad. Der Politikprofessor von der Universität Paris 8 Vincennes-Saint-Denis behauptet in der französischsprachigen Zeitung Monde Afrique, die Al-Jazeera zitiert, der außergewöhnliche Empfang Haftars in Saudi-Arabien hätte dem General grünes Licht für den Sturm auf Tripolis gegeben.

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Al-Arab

Den Kommentar von Salim Hamid in der libyschen Zeitung Al-Arab kann man als Antwort auf das katarische Narrativ sehen – und als Versuch, die Ereignisse in Nordafrika, insbesondere auch im benachbarten Algerien, miteinander in Bezug zu setzen. Er kritisiert Dohas Medienstrategie, mit der das Emirat vom eigenen Fehlverhalten ablenken würde – anstatt die eigene, »bösartige Rolle in Libyen« zu thematisieren, »verbreiten sie Lügen über die Einmischung der Vereinigten Arabischen Emirate in algerische Angelegenheiten« – was er damit genau meint, darauf geht Hamid nicht näher ein. Er sieht sich bestätigt, dass Katar weniger ein Staat sei, sondern viel mehr eine »kriminelle Bande«.

 

Die Stabilität Libyens hängt für den Autoren hingegen vom Ende des türkisch-katarischen Einflusses ab. Auch Hamid zieht den Vergleich mit Ägypten, dreht die Argumentation jedoch um: Den arabischen Frühling hätten die beiden Länder als »glänzende Gelegenheit […] für die Unterstützung der Muslimbrüder und ihre extremistischen Allianzen« gesehen. Und nachdem sie damit in Ägypten gescheitert seien, würden sie nun ihre »Saat für die libysche Hauptstadt bereithalten«. Das Problem läge demnach beim »katarischen Finanzier und seinen türkischen Verbündeten«, die sich gemeinsam darum bemühten, »ihre loyalen Milizen weiterhin […] zur Besetzung der libyschen Hauptstadt zu motivieren«.

 

Damit schlägt sich Salim Hamid wie Saudi-Arabien auf die Seite Haftars und seiner »Libyschen Nationalarmee«, die sich für die Vereinigung der libyschen Streitkräfte und die »Beendigung der Terroristen-Herrschaft« einsetzen würden. Vor diesem Hintergrund, so ist er sich sicher, würden die Libyer die »Befreiung« ihres Landes durch die Armee unter Haftar sogar unterstützen, obwohl eine militärische Lösung eigentlich nicht wünschenswert sei.

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Von: 
Luise Glum und Franziska Prokopetz

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