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Versöhnung zwischen Saudi-Arabien, den VAE und Katar?

Die Golfkrise ist vorbei, der Konflikt bleibt

Kommentar
Versöhnung zwischen Saudi-Arabien, den VAE und Katar?
Die Staatschef des Golfkooperationsrats beim Gipfel im saudischen Al-Ula Anfang 2021

Die Blockade ist Geschichte, doch die Golfstaaten Katar, Saudi-Arabien und die VAE stehen sich an mehreren Fronten weiterhin gegenüber – nicht zuletzt ideologisch.

Der Gipfel des Golfkooperationsrates in Al-Ula begann Anfang des Jahres mit bewegenden Bildern, als Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani am Flughafen vom saudischen Kronprinz Muhammad bin Salman (MbS) mit einer innigen Umarmung begrüßt wurde; Bilder, die man sich während des Medienkrieges zwischen den Golfstaaten in den letzten 43 Monate nicht hätte vorstellen können.

 

Nach 18 Monaten Vermittlungen seitens der Trump-Regierung und Kuwaits unterzeichneten die Führer der Golfstaaten ein Communiqué, welches die Blockade Katars zwar beendet, aber nur der Anfang eines langen Prozesses sein kann, um die Wurzeln des ideologischen Konflikts zwischen Doha und seinen Nachbarn aufzuarbeiten.

 

Denn die Blockade war nur Symptom eines Konfliktes zwischen Katar, Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE), der im Innersten ontologisch und ideologisch ist: Es ist ein Konflikt über Weltanschauungen und Selbstwahrnehmung in einer sich rapide ändernden Region, die zehn Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist.

 

Der US-Regierung ging es nicht wirklich um die Beilegung des Golfkonflikts per se, sondern darum, eine geschlossene Front gegenüber Iran aufzubauen.

 

Washington war und bleibt ein wichtiger Impulsgeber in dieser Krise, war es doch die Trump-Regierung, die das Hauptziel der über dreieinhalb Jahre andauernden Medienkampagnen beider Lager war. Die Architekten der Krise in Abu Dhabi und Riad hatten die Eskalation mit Katar genau inszeniert: mit einem Schauspiel aus Desinformation, falschen Anschuldigen und Narrativen, das genau auf die Ohren und Augen des damals neugewählten und unerfahrenen US-Präsidenten Donald Trump zugeschnitten war. Es ist daher auch nicht wirklich verwunderlich, dass die Trump-Regierung zuletzt verzweifelt versucht hatte, das Image des Brandstifters gegen das des vermeintlichen Friedensstifters einzutauschen.

 

Obwohl der Druck aus Washington auf Saudi-Arabien in den letzten Monaten der wichtigste Faktor war, um das Königreich zu überzeugen, an den Verhandlungstisch mit Katar zurückzukehren, ging es bei dem Krisenmanagement von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und anderen Beratern im Weißen Haus nicht wirklich um die Beilegung des Golfkonflikts per se, sondern darum, eine geschlossene Front gegenüber Iran aufzubauen.

 

Angesichts des Versprechens des designierten US-Präsidenten Biden, einen härteren Kurs gegenüber Riad zu fahren, war es eine pragmatische Entscheidung des saudischen Kronprinzen, diese Gelegenheit zu nutzen, um mindestens eine der von ihm verursachten Krisen zu beenden.

 

Der Gipfel Al-Ula bot MbS die Bühne, um aus dem Schatten des Kronprinzen von Abu Dhabi hervorzutreten.

 

Da die Kosten des Golfkonflikts für das Königreich schon lange weitaus höher sind als der Nutzen, war es für MbS einfacher, ein Versagen seiner Golfpolitik und eine Kehrtwende in der Katar-Frage einzugestehen als etwa in der Jemenkrise – einem weiteren hochsensiblen Thema für die neue US-Regierung.

 

Die Aufhebung der Blockade bot dem Kronprinzen die Möglichkeit, sich Washington als konstruktiven Akteur in der Region zu präsentieren und gleichzeitig die Führung im Golf zu übernehmen. Der Gipfel Al-Ula bot MbS die Bühne, um aus dem Schatten des Kronprinzen von Abu Dhabi, Muhammad bin Zayed (MbZ) hervorzutreten, und dem Vorherrschaftsanspruch des Königreiches gerecht zu werden.

 

Die Abwesenheit von MbZ von den Verhandlungen in den letzten Monaten deutet darauf hin, dass Abu Dhabi innerhalb des Golfkooperationsrats genauso isoliert sein könnte, wie es 2014 nach der letzten Golfkrise der Fall gewesen war. Die relative ideologische Inflexibilität von MbZ gegenüber seinem mutmaßlichen Schützling MbS wird es Abu Dhabi wahrscheinlich erschweren, ebenso pragmatisch an die Versöhnung mit Katar heranzutreten wie Saudi-Arabien.

 

An dieser Stelle geht es nicht darum, wer gewonnen oder verloren hat. Am Ende stehen die Region und ihre Menschen als Ganzes als Verlierer da. Nach dreieinhalb Jahren einer überflüssigen Krise willigt Katar ein, die Gerichtsverfahren gegen seine Nachbarn einzustellen, die lediglich eine Folge dieser Blockade waren. Darüber hinaus wird Dohas Medienriese Al Jazeera seine Kritik an der saudischen und emiratischen Führung herunterfahren. Wiederum war der Medienkrieg nur eine Folge der Blockade.

 

Im Zentrum war und ist die Katarkrise ein Konflikt darüber, wie die arabische Welt nach dem Arabischen Frühling neu geordnet werden kann.

 

Unterdessen sind die dreizehn Forderungen, die die Blockadeländer an Katar stellten, verpufft. Forderungen, die so absurd waren, dass sie niemals hätten erfüllt werden können. Katar wird Katar bleiben: ein souveräner Nationalstaat mit eigener Außen- und Sicherheitspolitik, eigenen überregionalen Beziehungen, eigener Diplomatie und Stellung am Golf.

 

Katar als Opfer scheint am meisten von dieser Kluft profitiert zu haben, da es politisch, wirtschaftlich und geostrategisch belastbarer geworden ist. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate auf der anderen Seite scheinen geschlagen zu sein und gestehen implizit, dass ihre Kampagne gescheitert ist.

 

Betrachtet man die Blockade jedoch als das Symptom eines tiefer verwurzelten ideologischen Konfliktes über Wertesystem und Weltanschauung, so wird schnell klar, dass das Communiqué von Al-Ula nicht ausreichen wird, eine nachhaltige Konfliktlösung am Golf herbeizuführen. Im Zentrum war und ist die Katarkrise ein ontologischer Konflikt darüber, wie die arabische Welt nach dem Arabischen Frühling mit diametralen Vorstellungen, vor allem zwischen Doha und Abu Dhabi, neu geordnet werden kann.

 

Auf der einen Seite steht Katar mit seiner Vision von einer regionalen Stabilität auf Basis eines gesellschaftspolitischen Pluralismus und mehr freiheitlichen Bürgerrechten. Auf der anderen Seite stehen die VAE, die im letzten Jahrzehnt kohärent eine Politik der autoritären Stabilität verfolgen, die dem Chaos der Revolution die starke Hand des Staates entgegensetzt. Als die große konterrevolutionäre Macht der Region hat sich Abu Dhabi mittlerweile auf die Seite der Autoritären geschlagen, wie Sisi in Ägypten, Haftar in Libyen oder Assad in Syrien.

 

In Nordafrika, der Levante, im Jemen und am Horn von Afrika werden die Narrative weiterhin aufeinandertreffen.

 

Obwohl Katar seit 2014 viel ruhiger und weniger risikofreudig agiert, wird es weder seine Politik gegenüber Iran und der Türkei, noch seine Unterstützung für eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Akteuren in der arabischen Welt umkehren.

 

Obwohl momentan eine Welle des Pragmatismus den Golf erfasst hat, wird insbesondere Abu Dhabi nicht aufhören, seine umfangreichen Desinformations- und Lobbying-Netzwerke zu nutzen, um Katar ins Visier zu nehmen. Während der Konflikt aus den Schlagzeilen im Golf verschwinden könnte, wird der Kampf der Narrative weitergehen, vor allem über Stellvertreter. In Nordafrika, der Levante, im Jemen und am Horn von Afrika werden diese Narrative weiterhin gewaltsam aufeinandertreffen.

 

Der Kampf um die zukünftige Ordnung der arabischen Welt, der hauptsächlich von den Golfmonarchien geführt wird, ist noch lange nicht vorbei. Ein Jahrzehnt nach Beginn des Arabischen Frühlings sind diese kleinen, wenn auch bedeutungsvollen, vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen GCC-Mitgliedern sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, werden aber über einen temporären kalten Frieden nicht hinauskommen.

 

Auf regionaler Ebene wird die ideologische Spaltung darüber, wer in Libyen, Syrien, Sudan oder Jemen den Ton angibt, weiterhin eine Golfmonarchie gegen die andere stellen.


Dr. Andreas Krieg ist Assistenzprofessor für Internationale Sicherheit am Londoner King’s College. Von 2013 bis 2017 war für den Generalstab des Staates Katar beratend tätig.

Von: 
Andreas Krieg

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