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USA kündigen Atomabkommen mit Iran auf

Regimewechsel – aber in Washington?

Analyse
USA kündigen Atomabkommen mit Iran
US-Außenminister Mike Pompeo: Geht der Kurs des »maximalen Drucks« gegenüber Iran auf? Gage Skidmore / lizensiert gemäß CC BY-SA 2.0

Drei Monate nach der Ankündigung folgt der Vollzug: Die US-Regierung steigt aus dem Atomabkommen mit Iran aus. Und die Europäer? Sollten nun lieber einen langen Atem haben, um im Atompoker mit Teheran weiter mitzumischen.

Am 8. Mai hatte Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran (»Joint Comprehensive Plan of Action«, JCPOA) bekanntgegeben. Dennoch hatte sich Teheran in der Folge für den Verbleib in dem Abkommen entschieden. Erst Präsident Hassan Ruhani, dann Ayatollah Ali Khamenei, bestätigten, dass Iran sich weiter an die festgeschriebenen Verpflichtungen halte werde, sofern die anderen Vertragspartner, vor allem die Europäer, die wirtschaftlichen Zugeständnisse, wie vereinbart weiter gewährleisten.

 

Ohne Zweifel misst Teheran der ökonomischen Dimension des Atomdeals die größte Bedeutung bei. Doch auch innenpolitische Gründe spielen eine erhebliche Rolle. Für die iranische Regierung geht es nämlich darum, ihren Verbleib im Abkommen zu rechtfertigen – und so die amerikanische Position auf internationalem Parkett zu isolieren. Vor drei Monaten hatte US-Außenminister Mike Pompeo die Voraussetzungen für ein neues Abkommen mit Iran und jegliche Mitwirkung der USA aufgestellt. In Teheran verstand man Pompeos Forderungen als kaum verhüllte Drohung: Demnach liefe der von Washington angekündigte »maximale Druck« nur auf ein Ziel hinaus: den Regimewechsel in Teheran.

 

Die Europäer ihrerseits hatten auf höchster Ebene Entschlossenheit gezeigt, den nachgelagerten Sanktionen der Amerikaner – also die Bestrafung europäischer Unternehmen, die weiterhin Geschäfte mit Iran machen – standzuhalten, um das Abkommen zu schützen. Doch schon wenige Wochen später zeigte sich, dass sich dieser Vorsatz in der Praxis nur schwer durchzuhalten ist: Die Liste der multinationalen Unternehmen, die sich aus dem iranischen Markt zurückzogen, um das Geschäft in den USA nicht zu gefährden, wurde immer länger.

 

Die E3-Staaten erbaten eine Ausnahmereglung der Sanktionen für europäische Firmen – ohne Erfolg

 

Die europäischen Vertragspartner hatten daraufhin eine Reihe von Gegenmaßnahmen beschlossen: Darunter etwa die Wiederbelebung des »Blocking Statute«, einer Ausnahmeregelung, das europäischen Unternehmen untersagt, die zusätzlichen US-Sanktionen, die ab August in Kraft treten, zu befolgen. Zudem wollte die EU-Kommission alternative Finanzierungsmechanismen für das Iran-Geschäft ausloten, die nicht mit der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit kollidieren.

 

Schließlich wandten sich die die Außen- und Wirtschaftsminister der E3-Staaten (die europäischen Unterzeichner des JCPOA-Abkommens (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) direkt an Washington: In einem offiziellen Schreiben erbaten sie eine Ausnahmereglung der Sanktionen für europäische Firmen. Besonders viel Hoffnung auf ein Entgegenkommen der US-Regierung machten sich die Europäer aber wohl schon damals nicht.

 

Am 6. Juli trafen sich alle Unterzeichnerstaaten (außer den USA) noch einmal in Wien, konnten sich aber auch dort nicht auf eine gemeinsame Strategie im Angesicht der drohenden Eskalation einigen. Ebenso ergebnislos endete der diplomatische Alleingang des iranischen Präsidenten. Hassan Ruhani hatte mehrere europäische Hauptstädte besucht, um dort auf bilateraler Ebene gemeinsame Positionen auszuarbeiten.

 

Iran könnte auch eine neue Eskalationsstufe in Kauf nehmen – eine Zwickmühle für die Europäer

 

Dabei trat Ruhani nicht nur als Bittsteller auf: Irans Präsident drohte seinen Gesprächspartnern in Paris, London und Berlin unverhohlen mit einem iranischen Austritt aus dem Atomabkommen – und damit, den in Artikel 36 vereinbarten Verpflichtungen nicht mehr nachzukommen.

 

Teherans Kalkül im Sanktionspoker lautet folgendermaßen: Sollte das bedingte Bekenntnis zum Verbleib im Abkommen nicht belohnt werden, hat Iran noch einen Trumpf in der Hinterhand: die Wiederaufnahme des Nuklearprogramms. Dabei könnte die iranische Seite argumentieren, dass der einseitige Rückzug von Vertragspartnern aus dem Abkommen (trotz Einhaltung der eigenen Verpflichtungen) es Iran erlauben würde, die Urananreicherung wiederaufzunehmen, ohne gegen die JCPOA-Statuten zu verstoßen. Doch Iran könnte auch eine neue Eskalationsstufe in Kauf nehmen – und etwa Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) den Zutritt zu den Forschungsreaktoren verweigern – dieser Zugang müsste ja schließlich neu ausgehandelt werden.

 

Die Europäer brächte solch ein Schritt in eine Zwickmühle: Sollte Iran wirklich die internationale Überwachung seines Nuklearprogramms zurückweisen, wären die E3-Staaten gezwungen, Teherans Haltung zu verurteilen – und dem US-amerikanischen Vorstoß zur Wiedereinführung der Sanktion zu folgen. Es wäre die diplomatische zweite Schmach, nachdem Washington bereits im Mai die europäischen Vertragspartner mit der Ankündigung zum Ausstieg aus dem Atomabkommen überrumpelt hatte.

 

Das stärkste Faustpfand der Europäer ist ihr Reputationsvorsprung

 

Wann solch ein Szenario eintritt, könnte sich als der entscheidende Faktor erweisen. Eebenso wie der Rest der Welt wird auch Teheran gebannt auf die Zwischenwahlen für den US-Kongress im November schauen. Zwar müsste Iran dann fast drei Monate den wiederaufgelegten US-Sanktionen standhalten. Eine Niederlage der Republikaner könnte aber die Trump-Regierung schwächen – und auch den Iran-Kurs der US-Regierung auf die Probe stellen. Diese abwartende Haltung, die auf die inneren Zersetzungs- und Fliehkräfte des Trump-Orbits spekuliert, kann man als eine Strategie der »strategischen Geduld« seitens Iran beschreiben.

 

In jedem Fall wären weder die E3-Staaten noch Iran gut beraten, sich ausschließlich an den kurzfristigen wirtschaftlichen Nachteilen des US-amerikanischen Alleingangs abzuarbeiten. In diesem Fall wird sich Teheran nämlich an die Länder wenden, die bereit sind, Irans größtes praktisches Problem infolge der Wiederauflage der Sanktionen zu lösen: China, Russland und Indien würden als Käufer für Öl und Gas einspringen – Europa wäre außen vor, auch wenn es um Einfluss auf eine langfristige Einigung im Atomkonflikt geht.

 

Die E3-Staaten könnten trotz des Sanktionsregimes dennoch einen Platz am Tisch finden – etwa über ihre Zentralbanken, die über ihre Austauschraten den Geldfluss aus jeglichem Öl- und Gasgeschäft mit Iran maßgeblich beeinflussen. Doch das stärkste Faustpfand der Europäer ist ihr Reputationsvorsprung: Denn sie können Iran immer noch mehr politische Verlässlichkeit garantieren als die wirtschaftlichen Nutznießer der Sanktionskrise.

 

Im Kern geht es der EU natürlich nicht um den Schutz der wirtschaftlichen Interessen Irans

 

Dennoch geht es der EU im Kern nicht um den Schutz der wirtschaftlichen Interessen Irans, sondern darum, sich nicht dem extraterritorialen Ausgreifen US-amerikanischer Gesetzgebung zu unterwerfen. Wenn sich Iran also zurück- und an alle noch bestehenden Vorgaben des Atomabkommens hält, könnte Teheran von dieser Interessenkonstellation ebenfalls profitieren. Doch dafür bedarf es Geduld – strategischer Geduld.

 

Ais iranischer Sicht hält man dafür noch mehr Karten in der Hinterhand – in Form von Einfluss auf eine Reihe von Krisenherden in der Region – vom Jemen über Syrien bis zum Irak. Teheran mag in seinem regionalen Ausgreifen Rückschläge erleiden – zuletzt etwa durch die engere Kooperation von Russland und Israel in Syrien – hat aber in der Vergangenheit Nehmerqualitäten bewiesen und hat weiterhin das Potenzial, den USA und ihren Verbündeten in der Region erheblichen Schaden zuzufügen.

 

Die Verengung der US-amerikanischen Iran-Politik auf die Atomfrage überlässt der Islamischen Republik in Wahrheit in der Region das Feld. Egal auf welcher Seite, nahezu alle politischen Akteure sind überzeugt, dass sich der Rückzug der USA aus dem Nahen Osten fortsetzen wird. US-Präsident Trump hat wiederholt bekräftigt, die verbliebenen US-Spezialstreitkräfte aus Nordsyrien abziehen und die Unterstützung für oppositionelle Rebellengruppen im Süden des Landes einstellen zu wollen. Trotz der erratischen Kommunikationspolitik des US-Präsidenten kommt in Teheran vor allem eine Botschaft an: Washington wird im Ringen um die Zukunft Syriens vorerst keine Rolle mehr spielen.

 

Kann die Führung der Islamischen Republik noch einmal das Feindbild des »Großen Satan« heraufbeschwören?

 

Für die Europäer bietet sich hier eine Gelegenheit: Sie sollten mit den USA zusammenarbeiten, um auf die Formulierung einer realistischen Politik zur Begrenzung des iranischen Einflusses im Nahen Osten zu drängen – und auf einen Prioritätenwechsel: weg vom Atomabkommen und hin zu konkreten Schritten in der Region. Das würde an die Vision des französischen Präsidenten Emmanuel Macron anknüpfen: Demnach bedarf es zunächst einer flexiblen Plattform für einen Dialog zwischen Europa und Iran, bevor solch ein Forum auch auf andere Staaten der Region und weitere internationale Akteure ausgedehnt werden würde.

 

Es ist möglich, dass die US-amerikanische Strategie des »maximalen Drucks« zur Destabilisierung des iranischen Regimes beitragen kann. Irans Gesellschaft ist in Bewegung geraten. Die wirtschaftlichen Engpässe führen schon jetzt zu Unruhen. Sollte sich die ökonomische Lage weiter verschlechtern, wird auch die Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigen.

 

Doch die US-Regierung könnte auch genau das Gegenteil bewirken: Eine Annäherung der disparaten Machtzentren, die die Führung der Islamischen Republik ausmachen – ein Zusammenrücken im Angesicht der US-amerikanischen Aggression. Die Frage muss erlaubt sein: Besteht nicht eine ernsthafte Chance, dass ein Regierungswechsel in Washington lange vor einem Regimewechsel in Teheran stattfindet?

Von: 
Michel Duclos

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