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Mohamed Aslam über Klimawandel, Extremismus und Politik auf den Malediven

»Wir mögen euch nicht, nur euer Geld«

Interview
Mohamed Aslam über Klimawandel, Extremismus und die politische Krise der Malediven
Foto: Florian Guckelsberger

Klimawandel, Extremismus, Ausnahmezustand: Mohamed Aslam, einst Umweltminister auf den Malediven und Gewährsmann des ersten demokratisch gewählten Präsidenten, sieht im Interview düstere Zeiten auf den Inselstaat im Indischen Ozean zukommen.

zenith: Die maledivische Regierung hat für September Wahlen angekündigt. Wird Umweltpolitik im Wahlkampf eine Rolle spielen?
Mohamed Aslam: Ich glaube nicht, dass irgendwer in diesem Land für einen Politiker stimmt, nur weil der sich für eine gute Klimapolitik einsetzt. Man kann eine Kampagne auf Umweltthemen stützen, aber damit gewinnt man auf den Malediven keinen Blumentopf. Nur um es einmal erwähnt zu haben, wird es schon irgendwo im Wahlprogramm auftauchen, das war es dann aber auch.

 

Nicht einmal im Wahlprogramm der Maldivian Democratic Party (MDP), der Partei des früheren Präsidenten Mohamed Nasheed? 2008 machte der mit seiner Kampagne zur Bekämpfung des Klimawandels weltweit Schlagzeilen.
Nein, nicht einmal in meiner eigenen Partei, der MDP. Wer aufrichtig an den Klimawandel glaubt und es für wichtig hält, trotz fehlenden öffentlichen Interesses eine geeignete Umweltpolitik zu vertreten, kann das gerne tun. Aber die Wahl wird er damit nicht gewinnen.

 

Im Durchschnitt liegen die Malediven lediglich anderthalb Meter über dem Meeresspiegel und sind wegen des steigenden Wasserpegels massiv in Gefahr. Wenn ein Land ein Verständnis für ökologische Themen haben sollte, dann doch die Malediven.
Etwas zu wissen ist nicht das Gleiche, wie an etwas zu glauben. Viele von uns glauben nicht an das, was sie bereits wissen und denken: Wir werden schon nicht weggespült. Wenn du den Durchschnittsbürger auf der Straße, oder ein Schulkind nach dem Klimawandel fragst, dann werden sie dir all die richtigen Dinge erzählen. Sie wissen ganz genau, was droht – aber sie verhalten sich nicht entsprechend.

 

In Ordnung, vielleicht ist der Klimawandel als Phänomen zu abstrakt. Den vielen Plastikmüll an den Stränden kann aber doch niemand ignorieren.
Ja, 90 Prozent des dort angeschwemmten Mülls wurde von uns Maledivern ins Wasser geworfen. Nur manchmal, da finden wir Rumflaschen und die sind definitiv nicht von uns. Aber ja, wir waren lange naiv genug zu glauben, dass Workshops und Seminare ausreichen, um Menschen für Umweltprobleme zu sensibilisieren. Doch wir müssen unsere Gewohnheiten anpassen und die verändert man nicht mal eben durch einen Workshop. Die Herausforderung ist, dass wir 40 bis 50 Jahre so gelebt haben und es kein Problem war. Dann aber...

 

»Vor 50 Jahren hatten wir keine Toiletten im heutigen Sinne. Und es gab auch keine Plastiktüten oder Plastikflaschen«

Deponie auf der Müll-Insel Thilafushi
Auf der Insel Thilafushi unweit der maledivischen Hauptstadt Malé wird das Müll-Problem des Inselstaats sichtbar.Foto: Florian Guckelsberger

...kamen die Touristen.
Bevor sie kamen, gab es hier keine Plastikflaschen oder Wegwerfwindeln. Jetzt schon. Natürlich kümmern sich die Hotelbesitzer um ihre eigenen Anlagen. Sie verkaufen ihren Gästen schließlich den Traum von der unberührten Natur. Aber sie machen das nicht für die lokale Bevölkerung. Auf Dhivehi, unserer Muttersprache, gibt es zwei Worte für den Begriff »Strand«. Eines davon kann als »Toilette«, das andere als »Müllhalde« übersetzt werden. Vor 50 Jahren hatten wir schließlich keine Toiletten im heutigen Sinne. Und es gab auch keine Plastiktüten oder Plastikflaschen. Das einzige was damals am Strand zurückgelassen wurde, waren Fischgräten und vielleicht etwas schlecht gewordener Reis. Die Reste haben wir ins Meer geworfen. Heute haben die Menschen einen anderen Lebensstil, aber ihre Gewohnheiten haben sich nicht verändert.

 

Die jetzige Regierung behauptet, gegen diese Gewohnheiten anzukämpfen. So gibt es heute eine Müllabfuhr und das Wegwerfen von Müll wird mit Strafen versehen.
Ja, es gibt eine entsprechende Verordnung. Aber man muss nur die Straßen Malés entlanglaufen, um zu sehen, wie lasch das umgesetzt wird. Manchmal ja, manchmal nein. Es gibt also eine Menge zu tun und wir müssen dabei ganz am Anfang, bei den Menschen und ihren Kindern ansetzen. Aber ich weiß nicht, welche Priorität dieses Thema hat...

 

An Problemen mangelt nicht: Extremismus, Bandengewalt und eine schwerwiegende politische Krise – um nur einige zu nennen. Dadurch wirkt selbst an einem exponierten Ort wie den Malediven die Bedrohung durch den Klimawandel wie etwas, um das man sich auch später kümmern kann.
Wir haben so viele unmittelbare Probleme, dass der Klimawandel zu kurz kommt. Aber was soll man auch erwarten, wenn die Menschen so vielen Problemen in ihrem Alltag begegnen, die sie direkt betreffen? Zum Beispiel wurde mein Reisepass beschlagnahmt, nachdem ich Mitte März bei einem friedlichen Protestmarsch festgenommen wurde. Am Morgen der Proteste hatte ich einen neuen Pass beantragt, da ich für eine Konferenz nach Hawaii reisen wollte und keine freien Seiten mehr im Pass hatte. Nach der Festnahme hat sich die Polizei dann geweigert, mir den Pass zurückzugeben. Sie haben außerdem behauptet, dass ich versuchen würde, aus dem Land zu fliehen. Jetzt darf ich das Land nicht verlassen. Mit so einer repressiven Regierung an der Macht kann man nichts ändern.

 

Im Februar verhängte der maledivische Präsident Abdullah Yameen den Ausnahmezustand mit der Begründung, er müsse so einen Staatsstreich verhindern. Jetzt gibt es Gerüchte, dass er womöglich die für den September angesetzten Wahlen verschieben wird.
Ja, ich denke, das könnte tatsächlich passieren.

 

 

Man sollte meinen, dass die Regierung nach all diesen Vorgängen eine öffentliche und demokratische Bestätigung ihrer Arbeit gut gebrauchen könnte. Immerhin wurde das harsche Vorgehen gegen Presse, Gewaltenteilung und die Opposition auch international stark kritisiert.
Yameen ist nicht daran interessiert, der Welt irgendwas zu beweisen. Westliche Regierungen warnen ihre Bürger doch bis heute nicht davor, Urlaub auf den Malediven zu machen. Auch wenn sie wissen, was hier passiert. Einige Beobachter meinen zwar, die Zahl der Touristen sei seit Ausrufung des Ausnahmezustands zurückgegangen. Ich glaube aber, dass sich nichts Wesentliches geändert hat.

 

Der Westen macht seinen Einfluss nicht geltend?
Ihr habt einfach nicht die Mittel, mit einer solch brenzligen Situation umzugehen. Ihr greift erst dann ein, wenn die Situation bereits aus dem Ruder gelaufen ist. Ich verstehe, wenn rational denkende Menschen sagen: Wir haben größere Probleme. Ok, ich stimme zu. Aber wenn man mit den kleinen Problemen nicht fertig wird, wie soll man dann die großen anpacken? Yameen weiß das ganz genau und reitet auf dieser Welle. Er hat schlicht keine Angst davor, dass ihn das gleiche Schicksal wie Saddam Hussein oder Muammar Al-Gaddafi ereilen könnte.

 

Dabei haben die Malediver bereits bewiesen, dass sie Machtwechseln nicht abgeneigt sind: Die Wahlen 2008 beendeten die Herrschaft von Maumoon Abdul Gayoom, der das Land vier Jahrzehnte regiert hatte.
Gayoon war anders als Yameen. Egal wie sehr er auch Diktator gewesen sein mag, es hat ihn immer interessiert, wie die Leute über ihn denken und reden. Yameen ist anders. Popularität, die Liebe der Menschen oder Wahlerfolge sind ihm egal. Er ist ein Mann, der sich aller Mittel bedient, um im Amt zu bleiben. Ich glaube, er ist verrückt. Aber man muss verstehen: Seit der neuen Verfassung gab es zwei Präsidentschaftswahlen und in keiner ging es darum, einen neuen Präsidenten zu wählen. Es ging immer nur darum, jemandem einen Strich durch die Rechnung zu machen.

 

Zur Sicherung seiner politischen Macht braucht der Präsident aber zumindest die teilweise Unterstützung der maledivischen Eliten. Eine Unterstützung, die er sich vor allem dank ausländischer Investitionen in den kleinen Inselstaat erkaufen kann. Insbesondere aus Saudi-Arabien kommt viel Geld. Wie würden Sie die Beziehungen der Malediven zu Riad beschreiben?
Gut, sie waren nie besser.

 

»Die Saudis sind Proteste nicht gewöhnt. Das sind doch Beduinen, die ihr Land nie verlassen haben«

Moschee im Malediven-Atoll Laamu
Von Saudi-Arabien finanzierte Moscheen wie diese finden sich auf vielen Inseln im Laamu-AtollFoto: Florian Guckelsberger

 

Die saudische Regierung spielte sogar mit dem Gedanken, ein ganzes Atoll zu kaufen und dort eine Millionenstadt namens »Dream City« zu errichten. Ein Aufschrei ging durch das Land, die weltweite Berichterstattung schreckte die Saudis schließlich ab.
Die Saudis wollten dieses Projekt unbedingt verwirklichen und ich glaube nicht, dass es vom Tisch ist. Sie haben angesichts der Reaktionen einfach ein mulmiges Gefühl bekommen. Wir reden immerhin vom Verkauf von Landesteilen. Für die meisten Malediver ist Land etwas Heiliges. Die Saudis haben mit so einer Reaktion nicht gerechnet, sie sind Proteste nicht gewöhnt. Das sind doch Beduinen, die ihr Land nie verlassen haben. Die Osmanen hingegen, die hätten gewusst, wie man die Sache anpacken muss. Ein ganz anderer Menschenschlag.

 

Trotz dieses Rückschlags pumpt Riad Abermillionen Euro in das Land. Die Saudis helfen etwa beim Ausbau des wichtigsten Flughafens und errichten die größte Moschee des Landes, benannt nach König Salman. Zudem finanzieren sie zahlreiche kleinere Moscheen, zum Beispiel im Laamu-Atoll.
Die verdammten Saudis sind eine Bedrohung für die moderne Welt. Jede extremistische muslimische Ideologie, in deren Namen Gewalttaten begangen wurden, hat dort ihren Ursprung. Gleichzeitig ist Saudi-Arabien aber das Zentrum für muslimische Gläubige. Egal was sie machen, die Saudis werden als Heilige betrachtet, da sie auf heiligen Land leben.

 

Der von dort stammende Wahhabismus, eine extrem konservative Interpretation des Islams, wird auch in vielen maledivischen Moscheen gepredigt. Gleichzeitig kommen, auf die Größe des Landes umgerechnet, aus kaum einem anderen Land weltweit so viele Kämpfer in dschihadistischen Gruppierungen in Irak und Syrien. Ein Zufall?
Menschen haben hier ganz offen auf den Straßen von Malé protestiert und dabei Fahnen des »Islamischen Staates« (IS) geschwenkt. Einmal habe ich einen pensionierten Offizier gefragt, wieviel Prozent der Armee den IS unterstützen. Das sei die falsche Frage, antworte er. Die richtige Frage würde lauten, wie viele die Terroristen nicht mögen. Nicht einmal zehn Prozent wären das.

 

Eine ungewöhnliche Situation, sind die Malediven doch wie kaum ein anderes Land vom Tourismus abhängig. Wie passt das mit derartiger, anti-westlicher Propaganda zusammen?
Ganz ehrlich: Nicht einmal zehn Prozent der Malediver würden die Terroranschläge vom 11. September verurteilen. Wir mögen euch nicht, aber wir mögen euer Geld. Wir hassen euch nicht direkt, aber wenn jemand kommt und uns gegen euch aufhetzt, haben sie leichtes Spiel. In jeder Moschee wird an jedem Freitagsgebet behauptet, dass der Westen unser Denken bestimmen möchte. Sie beten sogar dafür, dass Gott uns vor euch rettet. Was wird bloß aus uns, wenn das noch Generationen so weitergeht?

 

»Eine Revolution keimt im Verborgenen. Sie braucht Privatsphäre, aber die gibt es hier auf den Malediven nicht«

 

Als Mohamed Nasheed 2008 zum Präsident gewählt wurde, war das Land in Aufbruchsstimmung. Könnte es noch einmal dazu kommen?
Es gibt Menschen, die genau das glauben. Ich allerdings denke, dass das noch eine oder zwei weitere Generationen dauern wird. Zuerst müssen wir uns um unsere Institutionen kümmern. Die Justiz, die Armee und die Polizei. Sie müssen lernen, gerecht zu handeln und nicht korrupt zu sein. Das wird dauern. Eine schnelle Lösung gibt es nicht. Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück. Es gibt dazu nur eine Alternative: Revolution! Aber dazu wird es nicht kommen.

 

Warum?
Die Geografie lässt es schlicht nicht zu. Eine Revolution keimt im Verborgenen. Nur dort kann sie sich entwickeln. Sie braucht Privatsphäre, aber die gibt es hier auf den Malediven nicht.

 

Nasheed hat angekündigt, aus dem Exil zurückzukehren und bei den nächsten Wahlen anzutreten. Denken Sie, dass es dazu kommen wird?
Ja. Er wird dann aber wieder im Gefängnis landen. Er ist noch immer der beliebteste Politiker im Land, aber reicht das, um eine Wahl zu gewinnen? Ich bezweifle es.

 

Werden Sie antreten?
Nein. Aber ich werde unterstützen, wer auch immer sich Präsident Yameen entgegenstellt.

 

Die Recherche wurde von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN e.V.) unterstützt.

Von: 
Florian Guckelsberger

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