Geht er oder bleibt er? Die Posse um den Rücktritt von Irans Außenminister heizt die Spekulationen um die Machtbalance in Iran an. Es geht um Gesetze, die der Korruption Einhalt gebieten sollen – und um das Raketenarsenal der Islamischen Republik.
Am 26. Februar kündigte Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif über Instagram seinen Rücktritt an. Seine Begründung: Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei empfing am selben Tag vom syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad. Anwesend war Qassem Soleimani, Leiter der al-Quds-Einheit der revolutionären Garde, Zarif jedoch war weder Teil der iranischen Delegation, noch zuvor von dem Besuch auch nur informiert worden. Niemand in Iran bezweifelt, dass Soleimani unter der direkten Kontrolle Khameneis für die Regionalpolitik der Islamischen Republik zuständig ist. Zarif jedoch hat entschieden, eine derartige Ausgrenzung nicht zu akzeptieren.
Das scheint zumindest die Motivation, die aus seiner eher lyrisch gehaltenen Mitteilung auf Instagram hervorgeht. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob hinter dem angekündigten Rücktritt des Ministers nicht ein abgekartetes Spiel der so genannten Reformer steht – mit größerer Tragweite. Denn Präsident Hassan Ruhani ließ in der Tat mitteilen, dass er Zarifs Rücktritt ablehnt. Er berief sich dabei auf die großen Verdienste des Außenministers und darauf, dass der Revolutionsführer selbst Zarifs Tätigkeit als Kopf der iranischen Diplomatie unterstützt.
Auch in anderen Ecken der iranischen Politik – eigentlich von fast der Hälfte aller Parlamentarier – werden Loblieder auf Zarif angestimmt. Soleimani selbst erklärte, dass »es nur einen Außenminister geben kann«. Und nach seinem Rücktritt vom Rücktritt erklärte Zarif, dass er hoffe, zur Rehabilitation seines Amts beigetragen zu haben.
Gespräche in Teheran deuten aber noch auf andere Aspekte hin. Die Umstände von Assads Iran-Besuch seien sicherlich unangenehm für Zarif gewesen, doch die ganze Inszenierung der Stippvisite vermittelt ohnehin das Bild, dass hier ein Vasall seinen Patron trifft und nicht zwei Staatschefs: So wurde etwa die syrische Flagge nicht gehisst und der syrische Präsident brachte kaum Personal mit nach Teheran.
Seit Monaten will die Regierung über eine Reihe von Gesetzen abstimmen, die Geldwäsche und Terrorfinanzierung betreffen
Folgt man dieser Interpretation, ist der wahre Grund für Zarifs Rücktritts womöglich woanders zu suchen: Seit Monaten will die Regierung über eine Reihe von Gesetzen abstimmen, die Geldwäsche und Terrorfinanzierung betreffen. Ziel ist es, die iranische Gesetzgebung mit den Regeln der OECD-Arbeitsgruppe FATF (»Financial Action Task Force«) in Einklang zu bringen. Doch die sogenannten kritischen Konservativen im Parlament sperren sich und so blockierte der Schlichtungsrat gerade die benötigten Reformen.
Diverse Argumente wurden für diese Blockade ins Feld geführt, sie alle zielen auf die Unzweckmäßigkeit, »westlichen Forderungen nachzugeben«, während die USA das Atomabkommen einseitig aufkündigten und sich in einer Politik des »maximalen Drucks« gegen Iran versuchen. Hinter den Kulissen aber ist die Finanzierung der libanesischen Hizbullah zweifellos eines der Hauptthemen in der Diskussion. Nicht nur Zarif, auch der Präsident hat sich für die Gesetzesänderungen zur Anpassung an die FATF-Regeln eingesetzt. »Man kann das Schicksal dieses Landes nicht in den Händen von zehn oder zwanzig Personen lassen«, forderte Ruhani in den Stunden nach dem Rücktritt seines Ministers auf das Thema zu sprechen kam.
Das Hickhack um Zarifs Rücktritt lässt sich als Sinnbild für die Konfrontation zwischen Reformern (oder: Pragmatisten) und kritischen Konservativen (oder: Fundamentalisten) interpretieren. Ein Konflikt, an Intensität gewinnt. Nach dem Tod von Mahmud Haschemi Schahrudi, einem möglichen Nachfolger Khameneis, hatte der Revolutionsführer Ende 2018 mit Sadeq Larijani einen der Wortführer der Konservativen zum Vorsitzenden des Schlichtungsrats ernannt und machte Ebrahim Raisi, den Leiter des Imam-Riza-Schreins in Maschhad, zum Leiter der Justiz – er tritt damit die Nachfolge von Sadeq Larijani an..
Ebrahim Raisi genießt im konservativen Lager sehr große Unterstützung. 2017 trat er gegen Ruhani als Präsidentschaftskandidat an und positioniert sich seitdem als sein wichtigster Gegenspieler. Viele Iraner denken, er wäre nun gut für eine Nachfolge des Obersten Führers aufgestellt – um dessen Gesundheit es seit langem nicht gut bestellt sein soll. Kurz gesagt: Die Reformer werden gerade umzingelt. Nehmen wir an, Zarifs Rücktritt war tatsächlich eine Idee des moderaten Lagers, dann könnte man die Effektivität des Manövers daran bemessen, ob die vom Schlichtungsrat aufgestellten Hindernisse zur Abstimmung über die neuen Finanzgesetze nun aus dem Weg geräumt werden oder nicht.
INSTEX sollte in den wenigen Bereichen ansetzen, die nicht von Sanktionen betroffen sind – und nicht die US-Sanktionen umgehen
Aus Gesprächen, die der französische Thinktank »Institut Montaigne« während der letzten Wochen in Teheran geführt haben, ergeben sich außerdem drei weitere Schlussfolgerungen:
Erstens: Die US-Sanktionen haben eine verheerende Wirkung auf die iranische Wirtschaft: Abwertung der Währung, steigende Inflation, erhebliche Einfuhrbeschränkungen, Rückgang der industriellen Produktion. Fast die Hälfte der jungen Iraner, die auf den Arbeitsmarkt strömen, finden trotz guter Qualifikation keine Stelle. Massenentlassungen sind an der Tagesordnung, manche Angestellte erhalten über Monate kein Gehalt.
Diese Situation wird maßgeblich durch den Rückgang des Ölgeschäfts bedingt, das mit 900.000 Fass am Tag bei nur einem Zehntel der saudischen Produktion liegt. Die von der US-Regierung gewährten Ausnahmeregelungen für Geschäfte mit Iran laufen im Mai aus und es ist davon auszugehen, dass zumindest einige dieser Konzessionen auch nicht verlängert werden. Der iranische Öl-Export könnte auf ein historisch niedriges Niveau sinken, die Devisenreserven würden unter erheblichen Druck geraten.
Zweitens: Die Europäer müssen ihre Politik besser verkaufen. Vielen Iranern reicht das unter erheblichem Druck von Deutschland, Frankreich und Großbritannien geschaffene Finanzinstrument INSTEX (»Instrument in Support of Trade Exchanges«), das den europäischen Handel mit Teheran erleichtern sollte, nicht aus. INSTEX war dazu gedacht, in den wenigen Bereichen anzusetzen, die nicht von Sanktionen betroffen sind, etwa humanitäre Güter oder Arzneimittel – und nicht dazu, die US-Sanktionen zu umgehen.
»Von einem nuklearen Szenario sind wir in ein ballistisches Szenario übergegangen«
Die sogenannten kritischen Konservativen weisen auf diese Einschränkungen von INSTEX hin, bezeichnen diese als »demütigend« und koppeln sie in ihrer Argumentation an die missliebigen FATF-Anforderungen bezüglich Geldwäsche. Nach dem Motto: Sie bieten uns nichts und wollen gleichzeitig, dass wir uns an ihre Finanzgesetze halten. In diplomatischen Kreisen heißt es deshalb, dass man sich von dieser rhetorischen Koppelung lösen müsse.
Drittens: Die Choreografie von Assads Besuch in Teheran belegt, dass die iranische Regionalpolitik in den Händen der Hardliner liegt, die nicht zuletzt den Revolutionsgarden zuzurechnen sind. Nach vergangenem Herbst sollte man meinen, dass Iran die Verteilung schiitischer Milizen in der Region eingestellt hat, auch in Syrien. Doch diesbezügliche Schätzungen sind mit Unsicherheit behaftet. Fest steht jedoch: Teherans Raketenprogramm läuft weiter, mit doppelt so vielen Tests im Vergleich zum vergangenen Jahr. Und die Raketen weiter weiterhin an regionale Verbündete geliefert, nicht nur an die libanesische Hizbullah. Ein Gesprächspartner fasst es so zusammen: »Von einem nuklearen Szenario sind wir in ein ballistisches Szenario übergegangen.«
Wenn dem so ist, kann man zu zwei Schlüssen kommen: Einerseits steht zu befürchten, dass die Iraner sich angesichts zunehmender innerer Spannungen in Folge der Sanktionen auf eine regionale Konfrontation vorbereiten, in der sie von ihrem Raketenarsenal Gebrauch machen können. Andererseits gibt es mit Blick auf das Raketenprogramm noch die Möglichkeit einer europäischen Diplomatie-Initiative, vergleichbar mit den Bemühungen zum Nuklearprogramm. Keine einfache Aufgabe, wurde doch gerade die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh zu einer jahrzehntelangen Freiheitsstrafe sowie 148 Peitschenhieben verurteilt. Dieses Urteil ist ein weiterer Hinweis auf die Verhärtung des Teheraner Regimes und eine weitere Herausforderung für die europäische Iran-Politik.
Der Text im Original auf Französisch beim Institut Montaigne erschienen.