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Annäherung zwischen Äthiopien und Eritrea

Hier wird Frieden gemacht

Kommentar
Hier wird Frieden gemacht
Schlussstrich oder Neuanfang? Abiy Ahmed und Isayas Afewerki bei der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Äthiopien und Eritrea am 8. Juli 2018 in Asmara. Informationsministerium Eritrea

Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed strotzt vor Tatendrang. Sein jüngster Streich: Frieden mit dem benachbarten Eritrea. Im Eilverfahren ordnet seine Politik die Verhältnisse in der gesamten Region neu.

Man stelle sich vor: Ein äthiopischer Ministerpräsident landet morgens in einer Maschine der Ethiopian Airlines auf dem Asmara International Airport. Dort wird er persönlich von Eritreas Präsidenten-Dino Isayas Afewerki mit einer herzlichen Umarmung begrüßt, Hunderttausende stehen anschließend der Delegation aus dem noch verfeindeten Bruderland Spalier, ehe die Staatsoberhäupter beim gemeinsamen Kaffee oder geteilten Kaktusfrüchten posieren und beim folgenden Dinner von »Begeisterung« und »Liebe« sprechen. Bevor der Äthiopier am nächsten Morgen zurück nach Addis Abeba fliegt, unterzeichnen die beiden Führer dann noch eine Friedenserklärung. 28 Jahre kalter Krieg, heiße Grenzkonflikte und eisiges Schweigen sind beendet.

 

»Zu viel Honigwein getankt?«, hätte man jemanden gefragt, der dieses Szenario noch zu Jahresbeginn dargelegt hätte. Und doch ist es am 8. Juli Realität geworden – dem 1.11.2010 im äthiopischen Kalender. Und so kommt einem der Ruf vieler Äthiopier nach dem Friedensnobelpreis für ihren Ministerpräsidenten gar nicht mehr so abwegig vor. Abiy Ahmed heißt der Mann, der seit Anfang April im Amt ist und sein Land – mit 100 Millionen immerhin das zweit bevölkerungsreichste Afrikas – gerade vom Kopf auf die Füße stellt.

 

Abiy hat seitdem politische Gefangene entlassen, der Opposition Teilhabe angeboten, den Ausnahmezustand beendet, unbeliebte Politiker, Generäle und Unternehmensführer nach Hause geschickt – und ist dabei von Nachbarland zu Nachbarland von einem Konfliktherd zum nächsten gereist und warb um Vertrauen, Geduld und Verständnis. Und jetzt Eritrea – wie in seiner Antrittsrede versprochen und durch Besuch aus Asmara am 26. Juni 2018 vorbereitet.

 

Zu viel, zu schnell, zu ambitioniert: Das meinten damals selbst einige seiner wohlwollenden Kritiker, während sich das Volk im grün-gelb-roten Fahnenmeer der Unterstützungskundgebungen Gehör verschafft. Abiys Gegner, die durch seine personellen Veränderungen bestimmt nicht weniger geworden sind, wirken derweil desorientiert und unorganisiert. Mit jedem bejubelten Reformcoup schwindet ihre Macht.

 

Das dilettantische Attentat auf Abiy auf dem von Hundertausenden bevölkerten Meskel-Platz im Juni hat Premier und Volk noch näher zusammengebracht. Der Reformprozess scheint unumkehrbar – selbst ohne den neue Premierminister. Denn das Team hinter ihm steht – und hat die Wende wahrscheinlich lange vorbereitet – und die Unterstützung der Straße wächst. Erst recht nachdem der Politiker nun auch die Herzen der Eritreer im Sturm erobert zu haben scheint.

 

Klug kalkulierter Wendepunkt

 

Dieser Schritt, selbst wenn aus dem Herzen geboren und durch die Emotionen der Massen getragen, wird möglicherweise einmal als klug kalkulierter Wendepunkt in der Geschichte Äthiopiens eingehen. Denn für den 72-jährigen Dauerrevolutionär Eritreas, Isayas Afewerki, ist die Aussöhnung die letzte Chance, als großer Führer abzutreten, als der er sich selbst gerne sieht. Das Schicksal und seine Sturheit haben dem einstigen Befreier so übel mitgespielt, dass man geneigt ist, ihn in einem Atemzug mit Nordkoreas Kim Jong-Il und Iraks Saddam Hussein zu nennen.

 

Der dauerhafte Kriegszustand und der anderthalbjährige Wehrdienst haben Hundertausende junge Menschen aus dem ohnehin darniederliegenden Eritrea vertrieben. Die junge politische Garde steht wohl schon zur Übernahme bereit, traute sich jedoch bisher nicht, Afewerki abzulösen. Nun kann er sich als der Standhafte feiern lassen, der die äthiopischen Brüder und deren Investitionen auf Augenhöhe ins Land bringt.

 

Die TPLF (Tigray People‘s Liberation Front), Afewerkis früherer Juniorpartner im Befreiungskampf gegen den kommunistischen Derg, scheint ohnehin am Ende. Seit 1991 regierte sie, trotz – oder gerade wegen – einer ethnischen Minderheit im Rücken, Äthiopien mit großer Arroganz und eiserner Hand. Afewerkis Kampfgefährte Meles Zenawi konnte sich dabei im Gegensatz zum Führer der EPLF (Eritrean People‘s Liberation Front) der Unterstützung des Westens sicher sein. Doch die vergangenen Monate vor und nach der Ernennung Abiys zum neuen Premierministers haben deutlich gemacht, dass der TPLF nur noch eine Nebenrolle bleibt.

 

Mit dem Aufdecken dieser Schwäche wurde auch ein großer Stolperstein im Verhältnis von Äthiopien und Eritrea aus dem Weg geräumt: Der verletzte Stolz der Tigray – und Zenawis Schuld am Verlust Eritreas. Als Oromo kann Abiy die Sache völlig unvoreingenommen angehen. Von der erwarteten neuen Kooperation zwischen Äthiopien und Eritrea und dem Zugriff auf den eritreischen Hafen Massawa wird aber vor allem auch die Region Tigray profitieren. TPLF-Hardliner und sich noch immer überlegen wähnende Tigray werden mit diesen Erfolgen immer weniger Chance haben, für ihre Sache zu mobilisieren.

 

Deren letzte Chance heißt Badme. Im eritreisch-äthiopischen Krieg (1998-2000) war der kleine Ort mit knapp über 1.500 Einwohnern eines der umkämpften Grenzgebiete. Völkerrechtlich gehört Badme gemäß dem Abkommen von Algier von 2000 und der Entscheidung der Haager Grenzkommission von 2002 zu Eritrea. Der Ärger über den Verlust von Eritrea machte bisher diese Rückgabe für das Regime in Addis Abeba unmöglich. Erst die Zusicherung Abiys, das Friedensabkommen von Algier anzuerkennen und die Entscheidung der Grenzkommission umzusetzen, also Badme zurückzugeben, machte den nun unterzeichneten Friedensvertrag möglich.

 

Kleiner Verlust, großer Gewinn

 

Für den Großteil der Äthiopier scheint der Verlust einer kleinen Stadt und drei weiterer kleiner Gebiete tragbar angesichts des Gewinns eines neuen und alten Partners. Von der genauen Ausgestaltung dieser Rückgabe und der Regelung der Grenzangelegenheiten, die der Friedensvertrag unter anderem beinhaltet, hängt jedoch ab, ob sich die dortigen Proteste zu einer Gegenbewegung auswachsen. Kann für die Bewohner von Badme und der anderen Regionen eine Lösung gefunden werden, wie sie von der neuen Situation gar profitieren, ist die Basis für den Widerstand aus Tigray nachhaltig gebrochen.

 

Die USA werden die Annäherung zwischen Äthiopien und Eritrea zwar begrüßen und versuchen, so gut als möglich davon zu profitieren. So zum Beispiel durch die guten Beziehungen Eritreas zum Sudan und Somalia. Die Gleichsetzung der Amerikaner von Eritrea mit Nordkorea hat den jahrzehntelangen Stillstand zwischen den Brüdern erst möglich gemacht. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch haben deshalb inzwischen andere Staaten wie China, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate mehr Einfluss in der Region. Selbst Rivale Ägypten, über den Nil mit Äthiopien verbunden, begrüßte das Friedensabkommen. Eine erste Anerkennung der neuen Verhältnisse durch die USA könnte darin bestehen, den Antrag auf Aufhebung der gegen Eritrea verhängten UN-Sanktionen zu unterstützen.

 

Aus europäischer Entfernung gelten sowohl Äthiopien als auch Eritrea als christliche Länder. Gerne wird übersehen, dass der muslimische Anteil bei über 30 beziehungsweise bei über 50 Prozent liegt. Und gerade der muslimischen Mehrheit Eritreas lag die Verbrüderung mit Äthiopien nicht ganz so am Herzen. Sie war zunächst auch die treibende Kraft hinter dem Befreiungskampf gegen den Derg in den 1980er Jahren. Wie die eritreischen Muslime die neue Tauwetterperiode beurteilen, ist schwer einzuschätzen.

 

Allerdings scheint Äthiopiens Premier Abiy, der selbst aus einer muslimisch geprägten Region in Äthiopien kommt und einen muslimischen Vater hat, auch hier das richtige Händchen zu haben: Während er in Äthiopien rivalisierende Muslimgruppen zur Diskussion an einen Tisch bringt, folgen ihm mehrere hochrangige äthiopische Politikerinnen mit Hidschab über die Gangway auf das Rollfeld von Asmara. Während es in anderen Teilen der Welt lichterloh brennt und selbst Europa keine Kraft mehr für eine gemeinsame Vision mehr aufbringt, macht sich eines der ärmsten Länder der Erde auf, mit gutem Beispiel voran zu gehen.


Alexander Bestle ist Mitglied des Deutsch-Äthiopischen Vereins und ist seit 10 Jahren in der Kommunalen Entwicklungszusammenarbeit engagiert.

Von: 
Alexander Bestle

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