Lesezeit: 7 Minuten
Interview mit Historiker Fred Donner über die Frühzeit des Islam

»Muhammad hätte sich nicht als Muslim im heutigen Sinn bezeichnet«

Interview
Interview mit Islamwissenschaftler Fred Donner über die Frühzeit des Islam
Foto: Sam Alrefaie

Kommen Muhammads Eltern in die Hölle? Fred Donner forscht zur Ursprungsgeschichte des Islam und scheut sich nicht vor kontroversen Fragen. Im Interview erklärt er außerdem, warum seine Forschung in Indonesien besser ankommt als in Saudi-Arabien.

zenith: Sie forschen unter anderem zur Entstehung des Islam. Wie kommt das in den muslimischen Ländern und gerade in den Golfstaaten an, auf denen das Augenmerk ihrer Forschung liegt?

Fred Donner: Einige Länder in der arabischen Welt nehmen eine sehr ablehnende Haltung gegenüber einer historischen Interpretation des frühen Islam ein. Saudi-Arabien etwa gründet seine gesamte Identität auf traditionellen Narrativen. Es ist daher schwer für die Saudis, irgendetwas zu akzeptieren, das nach revisionistischen Ansichten klingt. In anderen muslimischen Ländern sieht das anders aus: Indonesien zeigt großes Interesse an Forschungen über den Ursprung des Islam. Die Indonesier stehen seit langem in einem Identitätskonflikt: Sie fühlen sich als Muslime, aber nicht als Araber. Sie suchen nach einem Weg, in ihren eigenen sozialen Strukturen gute Muslime zu sein. Es mag auch in Saudi-Arabien einige Wissenschaftler geben, die an revisionistischen Interpretationen interessiert sind. Aber es ist schwer für sie, sich in ihrer Umgebung offen darüber zu äußern.

 

Falls Archäologen auf Artefakte stoßen würden, anhand derer neue Erkenntnisse über die Geschichte des Islam gewonnen werden können – wären solche Funde nicht aussagekräftig genug, um bisherige Annahmen zu erschüttern? Auch die der Saudis?

Es mangelt uns immer noch an Quellen aus dem siebten, also dem ersten islamischen Jahrhundert. Wir haben viele Berichte aus dem 8. Bis 10. Jahrhundert, die auch weitgehend von Orientalisten herangezogen wurden, um Aussagen über den Ursprung des Islam zu treffen. Das Problem ist, dass es sich dabei um Retrospektiven handelt, die möglicherweise die vorhergehenden Ereignisse idealisierten.

 

Was wäre denn eine konkrete archäologische Entdeckung, die Sie als Durchbruch in dieser Hinsicht bezeichnen würden?

Wir haben kein einziges Dokument, das vom Propheten Muhammad selbst kommt. Es gibt Briefe, von denen einige glauben, dass sie aus seiner Feder stammen. Aber dabei handelt es sich wahrscheinlich um Fälschungen. Ein Dokument von ihm persönlich zu finden, wäre somit ein Durchbruch. Alles, was wir bisher haben, sind Nachweise über Menschen, die ihn direkt kannten, wie etwa seine Eltern...

 

... die wohl zu der Gruppe der »Hanifas« gehörten. Auch darüber wird diskutiert. Kommen Muhammads Eltern in die Hölle, weil sie keine Muslime waren? Den Islam gab es ja erst nach Muhammad.

Die interessante Frage ist hier der Charakter der ersten Gemeinschaft, die Muhammad gründete. Und deren Verhältnis zu anderen Religionen. Viele Menschen nehmen heute an, dass Muhammad von einem religiösen Erlebnis motiviert war und Gott seinen berechtigten Platz in der Welt zuweisen wollte. Aber vielleicht hatte er gar nicht vor, eine neue Religion zu gründen. Er wollte bloß den Monotheismus wiederbeleben, der bereits existierte. Juden und Christen waren Monotheisten – er wollte aus ihnen bloß wahre Monotheisten machen.

 

Ein weiterer Fokus Ihrer Forschung betrifft die Unterscheidung der Begrifflichkeiten für »Glaubende« und »Muslime«. Was hat es damit auf sich?

Die späteren Traditionen wollen die beiden Begriffe gleichsetzen. Allerdings geht aus dem Koran eindeutig hervor, dass die Worte nicht das Gleiche bezeichnen. Eine erste wichtige Unterscheidung wird gezogen zwischen den Begriffen »Aslemna« and »Amena«. Beide bedeuten »Wir glauben«, aber »Amena« meinte eine tiefe und persönliche Art des Glaubens, während »Aslemna« ein Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer politischen Organisation war. Die zweite Unterscheidung wird zwischen »Mu’min« und »Muslim« gezogen. »Mu’minun« heißt »die Glaubenden« und wird in den wenigen Papyrusrollen, die aus der Zeit Muhammads gefunden wurden, verwendet. Der Begriff meint, wie auch »Aslemna«, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Dieses Muster wiederholt sich. Es scheint also, dass die Nachfolger Muhammads sich allein als Gemeinschaft verstanden. Mir erscheint es logisch, dass erst später, um das Jahr 700, eine Veränderung stattfand und die Menschen sich erst am Ende des 7. Jahrhunderts als »Muslime« bezeichneten und die Bewegung als »Islam«.

 

So belegen Sie also das Argument, dass der ursprüngliche Islam unter Muhammad keine Religion, sondern eine Art Gemeinschaft von Glaubenden war, in der auch Christen und Juden akzeptiert waren. In dem Sinne hätte sich Muhammad selbst also nicht als »Muslim« bezeichnet?

Die Wortbedeutung ist ja »sich Gott unterwerfen«. In dem Sinne hätte Muhammad das sicher von sich gesagt. Aber als »Muslim« im heutigen Sinne hätte er sich nicht bezeichnet.

 

Um noch einmal auf Ihre Rolle als Islamwissenschaftler im heutigen Kontext zurückzukommen. Es kursieren eine Menge Meinungen über den Islam, nicht alle davon sind fundiert. Müssen Sie Ihre Stimme heute mehr erheben als früher oder wünschen Sie sich das von Ihren Kollegen?

Es ist wichtig, dass Menschen, die sich mit einer bestimmten Sache wirklich auskennen, sich entsprechend am öffentlichen Diskurs beteiligen – und ihre politische Meinung äußern. Eine Sache hat sich verändert, seit ich vor 50 Jahren meine Forschung als Islamwissenschaftler angefangen habe: Damals fanden nur wenige Leute diesen Bereich überhaupt relevant. Das ist heute anders. Der Eindruck herrscht vor, dass der Islam ein wichtiges Thema in der Weltgeschichte ist. Das finde ich positiv. Allerdings schwirren immer noch eine Menge Irrtümer über den Islam herum und die Auseinandersetzung mit der Religion wird dann oft von Polemik begleitet. Das war schon im Mittelalter so. Heute gibt es Menschen, die es zu ihrer Profession gemacht haben, den Islam als Religion der Gewalt zu verunglimpfen. Es ist wichtig, dass Wissenschaftler so gut sie können dagegenwirken.

 

Wie genau kann das geschehen?

Es braucht Kommunikation. Es geht nicht darum, dass wir den Islam schönreden. Er hat, wie alle religiösen Traditionen, gewisse Probleme – gerade in der modernen Welt – und Muslime müssen sich damit auseinandersetzen. Das wissen die meisten von ihnen auch. Dennoch müssen wir Wissenschaftler in einer möglichst neutralen Art und Weise auf diese Dinge hinweisen. Aber tatsächliche Irrtümer müssen wir entkräften. Es wird zu viel vereinfacht.

 

Es geht also um eine Art Fact Checking?

Ganz genau! Es ist nicht weniger falsch zu sagen, der Islam sei eine Religion der Gewalt, als die alte antisemitische Legende zu verbreiten, dass Juden das Blut christlicher Kinder trinken. Das ist ein einziges Lügenmärchen.

 

Wie würden Sie jemandem wie Donald Trump damit begegnen, der sehr festgefahrene Meinungen über Muslime pflegt?

Einfach ist das nicht. Mark Twain hat gesagt: »Streite dich nie mit einem Dummkopf: Es könnte sein, dass die Zuschauer den Unterschied nicht bemerken«. Wer von beiden ist der Dummkopf? Menschen mit festgefahrenen Meinungen haben kein Interesse daran, etwas Neues zu lernen oder die Wahrheit zu finden. Sie wollen allein ihre Wahrheit bestätigt sehen. Bevor du diskutierst, musst du dir sicher sein, dass der Andere tatsächlich zuhören will. Und du selbst musst ebenso zuhören und bereit sein, deine Position zu verändern. Das ist ein langer Prozess und er erfordert beiderseitigen Respekt.


Fred Donner, 73, ist Historiker für die Geschichte des Nahen Ostens und Islamwissenschaftler an der University of Chicago. Seit fünf Jahrzehnten forscht er über die Frühzeit des Islam, zuletzt erschien 2010 zudem Thema sein Werk »Muhammad and the Believers. At the Origins of Islam«.

Von: 
Robert Chatterjee

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.