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Fotografie in Iran

»Es ist leicht, in Iran depressiv zu werden«

Interview
Fotografie in Iran
»Kein Buch über Iran kann wirklich unpolitisch sein – es sei denn, man fotografiert nur Landschaften und Architektur. Wir wollten mit unserem Wissen helfen, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen«, sagt Fotografin Mina Esfandiari. Foto: Mina Esfandiari

Fotografin Mina Esfandiari über Doppelleben und Depressionen, wie Verstöße gegen die Kleiderordnung zur politischen Rebellion werden – und wie gerne die Iraner sich dabei fotografieren lassen.

zenith: Ihre Bilder zeigen oft Menschen, die Verbotenes tun – Frauen ohne Kopftuch, Drogenschmuggler oder Mütter, die regimekritische Dinge sagen. Wie schwierig war es, solche Aufnahmen zu machen?

Mina Esfandiari: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Iraner sich unheimlich gerne fotografieren lassen. Als ich eine mögliche Veröffentlichung ansprach, waren sie oft stolz und freuten sich darüber. Wir zeigen in dem Buch aber keine Fotos von Partys, und Bilder von Frauen ohne Verschleierung nur mit deren Einverständnis. Und natürlich haben wir Namen geändert oder Gesichter verfremdet, wenn es für unsere Protagonisten gefährlich werden könnte. So zum Beispiel zeigen wir nicht das Gesicht einer jungen Frau, die gerne singt. Singen ist in Iran für Frauen verboten, und ihre streng religiöse Familie darf nichts von ihrem Hobby wissen.

»Ein Buch über Iran kann gar nicht unpolitisch sein«
Foto: Mina Esfandiari

Eine andere junge Frau im Bildband tanzt zu Queens »Bohemian Rhapsody« – allerdings hat sie die Fotos sogar auf Facebook geteilt und war stolz, dass sie in Deutschland veröffentlicht werden. Für viele Iraner ist es eine Auszeichnung, dass ihr Protest festgehalten wird. Viele wollten auch gerne von und mit uns Fotos machen. Mir fällt niemand ein, der sich nicht fotografieren lassen wollte.

 

Was sind Ihre Lieblingsmotive im Buch?

Die Bilder in der Nasir-Al-Mulk-Moschee in Schiraz. Wie sich das Licht bricht, die bunten Blumenmuster und Kalligrafien auf den Kacheln – das hat etwas sehr Meditatives. Dazu einmal die traditionelle Frau im Tschador auf dem einen Bild, und auf dem anderen die moderne Frau, die sich barfuß mit ausgestreckten Beinen an die Wand gesetzt hat. Ein anderes ausdruckstarkes Foto ist das von den abgelegten Beinprothesen am Strand.

»Ein Buch über Iran kann gar nicht unpolitisch sein«
Foto: Mina Esfandiari

Das Foto habe ich auf der Ferieninsel Kisch gemacht, sozusagen dem Mallorca der Iraner (lacht). Die Besitzer sind wohl eine Runde schwimmen gegangen, die Prothesen sind schon ein krasser Kontrast zum sonnigen Sandstrand. Vermutlich gehören sie Kriegsversehrten aus dem Ersten Golfkrieg. Viele Iraner haben dort durch Landminen Körperteile verloren. Und als drittes Motiv würde ich die Malerei auf einer Mauer nehmen: ein Mann und der Kopf einer kopftuchtragenden Frau ohne Gesicht.

»Ein Buch über Iran kann gar nicht unpolitisch sein«
Foto: Mina Esfandiari

Hier ist der kulturelle Kontext sehr wichtig und zeigt, wie unterschiedlich das Bild wahrgenommen werden kann: Viele denken, es handelt sich um eine kritische, symbolhafte Darstellung der unterdrückten, unsichtbaren Frau ohne Rechte. In Wahrheit ist das ein Grabstein für eine Märtyrerin. Und deren Gesichter dürfen nicht gemalt werden.

 

Ihr Bildband trägt den Titel »Tausend und ein Widerspruch«. Welchen finden Sie am spannendsten?

Für mich sind es die Welten, die das Öffentliche vom Privaten trennen. Diese Diskrepanz wird von so vielen Faktoren bestimmt, und jeder versucht, sich seine eigenen Räume zu schaffen: In der Wohnung sind alle Fenster mit Vorhängen verhängt, sogar das Auto ist schon so ein privater Mikro-Raum. Wenn es dir deine Familie erlaubt, kannst du im Privaten ein gutes Leben führen – nach außen aber nicht. Du führst zwei Leben. Es ist für uns kaum vorstellbar, weil das in Iran auch genau andersherum abläuft als bei uns: Wir laufen zuhause in Jogginghose herum und machen uns schick, wenn wir das Haus verlassen. Im Iran macht man sich erst schick, wenn man auf der Party angekommen ist. Dort wird dann Alkohol getrunken und gekokst, ich war auf mehreren dieser verbotenen Partys.

»Ein Buch über Iran kann gar nicht unpolitisch sein«
Foto: Mina Esfandiari

Man vergisst, dass man in Iran ist, fühlt sich wie auf einer WG-Party in Berlin – aber zwischendrin schleicht sich immer wieder das beklemmende Gefühl ein, dass die Polizei kommen und uns alle verhaften könnte. Freunde von mir mussten für ihren Alkoholkonsum zwei Nächte im Gefängnis verbringen – für sie aber war es wie ein Ritterschlag, quasi eine Auszeichnung für ihr regimekritisches Verhalten. Ähnliches gilt für Frauen bei Verstößen gegen die Kleiderordnung: Es ist eher cool, wenn man von den Sittenwächtern mitgenommen wurde. Natürlich geht das nur, wenn die Familie das auch akzeptiert. Das passiert eher in der oberen Mittelschicht. Ärmere Familien sind da eher traditionell und streng. Die Sängerin, von der ich erzählt habe, könnte sich so etwas nicht erlauben.

»Ein Buch über Iran kann gar nicht unpolitisch sein«
Foto: Mina Esfandiari

 

Viele der Bilder zeigen fröhliche Menschen, romantische Motive. Wie unpolitisch kann ein Bildband über Iran sein?

Kein Buch über Iran kann wirklich unpolitisch sein – es sei denn, man fotografiert nur Landschaften und Architektur. Wir wollten mit unserem Wissen helfen, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Das Regime spricht nicht für alle Menschen, es repräsentiert sie nicht. Sie haben nur die Wahl zwischen einem radikalen und einem weniger radikalen Mullah. Ein richtiger Reformer würde gar nicht erst zur Wahl zugelassen werden. Auch wissen viele nicht, dass Frauen im Iran das Kopftuch nicht freiwillig tragen, sondern es tragen müssen. Sobald man private Geschichten erzählt, ist es politisch. Trotzdem wollten wir keinen dezidiert politischen Bildband machen – das ergibt sich von selbst.

 

Nach welchen Kriterien haben Sie den Band aufgeteilt und die Kapitel benannt?

Im Kapitel »Geheimnisse« zeigen wir Menschen dabei, wie sie verbotene Dinge tun, in den Kapiteln »Geschichte« und »Glaube« versuchen wir, neben dem Islam auch vorislamische Geschichte zu zeigen und die Einflüsse anderer Religionen wie des Zoroastrismus und des Christentums.

»Ein Buch über Iran kann gar nicht unpolitisch sein«
Foto: Mina Esfandiari

Das Kapitel »Freiheit« war eine besondere Herausforderung: Auf der einen Seite gibt es gewisse Freiheiten, die man sich nehmen kann, ohne sie geheim halten zu müssen – Frauen dürfen studieren, arbeiten, Auto fahren. Die Menschen nutzen das Internet, um mit der Welt zu kommunizieren und lernen Fremdsprachen, um einen Blick nach außen zu bekommen. Es ist sehr bewundernswert, wie sie sich in diesem engen Korsett Freiheiten schaffen. Wir wollen das Bild vom Regime aber nicht romantisieren – deswegen schließen wir das Kapitel ab mit Fotos von Vögeln in Käfigen. Denn all diese Freiheiten funktionieren nur in einem gewissen Rahmen. Und natürlich darf man nicht die tragischen Methoden vergessen, mit denen manche sich Freiheiten schaffen: Um die Todesstrafe für Schwule zu umgehen, unterziehen viele Männer sich einer Geschlechtsumwandlung. Die psychische Belastung muss unvorstellbar sein. Es ist sehr leicht, in Iran Depressionen zu bekommen. Das gilt auch für Künstler, die oft unter dem Druck leiden, ihre Kunst regimekonform gestalten zu müssen.


»Iran – Tausend und ein Widerspruch«

»Iran – Tausend und ein Widerspruch«
Stephan Orth,‎ Samuel Zuder,‎ Mina Esfandiari
NG Buchverlag, 2017
192 Seite, 40 Euro

Von: 
Martha Dudzinski

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